0977 - Gefahr für die Blaue Stadt
nicht der eigenen. »Denn wir haben euch endlich.«
Es war ein alt wirkender Geselle. Langes graues Haar über einem faltigen, aber durchtrainiert wirkendem Körper, der so dunkel vor Schmutz war wie die aller anderen. Das bisschen Kleidung, das er trug, war aus Fellen, Blättern und Rinde gefertigt. Ein zeremoniell wirkender Kopfschmuck, den von allen Anwesenden nur er trug, deutete darauf hin, dass er eine Art Vorreiterstellung innehatte. Vermutlich ein Stammesältester oder Hohepriester, dachte Nicole und sah ihn an. Seine Eloquenz erstaunte sie.
»Wir sind keine Feinde«, sagte sie lauter, als es die Steinklinge an ihrem ungeschützten Hals für sinnig erachten ließ. »Wir kommen in Frieden und weil wir einen gemeinsamen Gegner suchen.«
»Die Tonkan haben keine Gegner«, gab der Alte zurück. »Sie haben nur Freunde wie euch beide, die ihr Land durchqueren wollen. Natürlich stets zufällig.« Seine Worte troffen vor beißender Häme.
Der Brunnen. Nicole verstand ihn gut. Die Schwarzelfen waren ein einfaches Volk, wie die meisten Bewohner Brocéliandes unkompliziert waren. Doch sie alle bewachten ein Objekt, das von großer Bedeutung war. Eines, das mitunter auch Wesen, die dem Bösen zugetan waren, zu nutzen hofften. Und das stört euch.
Nach der Vernichtung Brocéliandes durch die Baba Yaga im Dezember 1998, musste Merlins Bruder Asmodis im Januar 2001 den Zaubergarten wieder aufforsten. Das Problem bei der Wiederaufforstung stellte der Brunnen dar. Einst hatte er als Jungbrunnen gedient. In kleinen Schlucken getrunken, half das Wasser, verlorene Kräfte zu regenerieren.
Für den Zauberer Merlin bedeutete der Brunnen viel mehr. Er war sein persönlicher Schlüssel nach Avalon. Seit die Baba Yaga das magische Wasser in ihrer grenzenlosen Gier ausgetrunken und den Brunnen somit hatte versiegen lassen, hatte der Magier keine Möglichkeit mehr, auf die Mythen umwobene Insel zu gelangen.
Erst als der gesichtslose Caltar An’dean bei seinem Tod Ende Dezember 2002 eine von D’Halas Seelen-Tränen im Zauberbrunnen zündete, wurde er wieder mit Magie erfüllt.
»Ich kann mir vorstellen, dass ihr derartige Unschuldsbeteuerungen nicht zum ersten Mal hört«, erwiderte sie, und der Druck der Klinge nahm zu. »Aber in unserem Fall sind sie die Wahrheit. Wir suchen einen Dämon, einen brennenden Mann, der hierher geflohen ist. Und wir glauben, er ist auf dem Weg zum Bru…«
Sie kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Auf ein Nicken des Alten hin hatte ein Tonkan, der direkt neben ihr stand, ihr mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. Für einen Moment sah sie Sterne.
»Schweig!«, herrschte der Alte sie an. »Wage es nicht, vom Heiligsten zu sprechen! Du bist es nicht würdig.«
Bin ich doch, dachte Nicole. Schließlich trug sie Merlins Stern in der Tasche - dass er den suchenden Händen ihrer Bewacher entgangen war, kam einem kleinen Wunder gleich -, und als Amulettträgerin hatte sie in Brocéliande gewisse Privilegien. Doch sie war klug genug, diesen Trumpf noch nicht auszuspielen. Die Gelegenheit war zu günstig, mehr über die aktuelle Lage bei den Tonkan und in Merlins Zauberwald im Allgemeinen zu erfahren. Zum Amulett konnte sie immer noch greifen, wenn die Situation tatsächlich brenzlig werden sollte.
Wie brenzlig denn noch?, erklang die tadelnde Stimme der Vernunft in ihrem Kopf, als die Schwarzelfen auch ihr die Arme auf den Rücken drehten und sie grob fesselten. Nicole stöhnte leise und verzog das Gesicht vor Schmerz.
Der Alte wirkte zufrieden. Auf sein Zeichen hin setzte sich die Gruppe wieder in Bewegung. Nicole und Monica wurden unsanft vorausgeschubst.
»Nicole, was tun wir hier?«, flüsterte Monica besorgt. »Wir müssen diesen Wesen entkommen, bevor sie…«
»Sie werden uns nichts tun«, unterbrach sie sie leise. »Ich weiß es.«
»Woher denn? Die halten uns doch für ihre Feinde. Was also haben sie sonst mit uns vor?«
»Dies ist Merlins Zauberwald. Asmodis hat ihn wieder aufgeforstet, nachdem er vernichtet worden war; entsprechend mit zumeist Schwarzer Magie ist hier alles geladen. Ich vermute, unsere Gastgeber bringen uns schlicht in ihre Siedlung.«
Monica schluckte. »Und dann?«
»Keine Sorge, Monica. Ich hab alles unter Kontrolle.«
»Schweigt!«, herrschte ein Tonkan sie an und schlug ihr so hart auf den Hinterkopf, dass sie stolperte, auf ein Knie fiel und für einige Sekunden Sterne sah. Grobe Hände packten sie unter den Achseln und zerrten sie wieder auf die
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