098 - Horrortrip ins Tal der Toten
Feuerzeug.
„Madeleine?“
„Hier.“
Ihre Stimme klang, als hätte sie seine Jacke über ihre Ohren hochgezogen und atme durch die Knopflöcher.
Ohne das Feuerzeug zu benutzen, lief er in ihre Richtung. Sie stand noch bei der Zisterne. Als er näher kam, sah er Brigitte Moulin.
„Alles in Ordnung?“
Die beiden zitterten. „Da hat noch jemand so grauenvoll geschrien“, flüsterte Brigitte. „Wieder eine Frau. Sind denn außer mir…“
„Seid ganz ruhig!“ sagte Henry. „Was Schreckliches ist passiert. Hier scheint eine Bestie umzugehen. Ich muß Laydell finden, damit er sofort den Strom wieder einschaltet. Aber sagt noch nichts zu den Gästen. Eine Panik in der Finsternis ist das letzte, was uns fehlt.“
„Eine Bestie?“ fragte Madeleine.
Henry zögerte einen Moment. Aber dann berichtete er rasch. Brigitte preßte eine Hand vor den Mund. Madeleine brachte kein Wort hervor.
„Bleibt dicht hinter mir!“ befahl Henry. Er knipste sein Feuerzeug an. Mit hohler Hand schützte er die Flamme.
Sie erreichten das Ritterhaustor, einen breiten Durchgang in der Mauer. Henry sah dunkle Flecke am Boden. Er tupfte mit dem Finger hinein. Frisches Blut. Dicht an der Mauer wurden die Spritzer zu einer Lache.
Ihm grauste. Noch eine Tote innerhalb von Minuten? Aber wo war sie? Und der Mörder? Die Bestie?
Er blieb stehen. „Hallo, meine Damen und Herren.“
Von nirgendwo kam Antwort. Er hörte keine Stimmen, nicht einmal Getuschel.
„Die sind alle ins Landgrafenhaus gerannt“, flüsterte Madeleine. „Gleich nach dem ersten Schrei. Ich hörte es. Jemand flüsterte, das klinge so fürchterlich echt. Mein Gott, es war echt! Arme Louise Vichet!“
Henry brachte die beiden bis zur Tür des Rittersaals. Was er sah, wirkte grotesk: Alle Horror-Touristen drängten sich um den Kamin, schweigend und ängstlich wie eine Schafherde. Das Feuer war niedergebrannt. Die Glut wurde zur Asche. Ab und zu knackte noch ein Scheit, als einziger Laut. Dicht beim Feuer mußte die Hitze beklemmend sein.
Henry schob die Frauen in den Saal. Jemand kam den Flur herunter und benutzte eine Taschenlampe. Es wirkte in dieser Umgebung wie ein Stilbruch.
„Herr von Laydell!“ Henry schloß die Tür und zog den Schloßherrn zum Ausgang. „Hier ist der Teufel los! Wir müssen sofort den Strom einschalten. Halten Sie sich irgendwelche Raubtiere?“
„Raubtiere?“
„Panther, Löwen, Tiger, Wölfe – was weiß ich!“
Erdmann blieb stehen. „Sie haben doch zum Dinner kaum was getrunken.“
„Sie werden gleich staunen“, unterbrach Henry ihn. Er erzählte. Dann: „Sie glauben mir nicht, wie? Dann kommen Sie mal mit. Louise Vichets Leiche liegt beim Haupttor. Und wer außerdem … Himmel, wir sollten abzählen, wer von den Gästen fehlt. Nein, erst die Stromversorgung! Los, worauf warten Sie!“
Der Transformatorenraum lag in einem Seitentrakt des Landgrafenhauses. Erdmann öffnete die Stahltür. Jeder Handgriff wirkte roboterhaft mechanisch. Der Mann war wie vor den Kopf geschlagen.
Henry kam ein schrecklicher Verdacht. „Sagen Sie mal: Die Typen, die Sie angeworben haben – sind die vielleicht nicht ganz dicht?“
„Meinen Sie die Horror-Darsteller? Ich bitte Sie! Das sind keine Mörder, die einer jungen Frau den Hals zerfleischen!“
„Aber verläßlich sind sie nicht?“
„Doch! Nur ein bißchen primitiv. Was erwarten Sie denn von diesen Bergbauern im letzten Winkel der Welt? Die können doch kaum lesen und schreiben. Wer was gilt, muß gut sensen und dengeln können. Schon die Sprache! Haben Sie das mal gehört? Ein Deutsch, gespickt mit Rätoromanisch, Französisch, Italienisch und soviel Ü- und Ö- Lauten aus frühem Mittelalter, daß man denkt, eine Hammelherde blökt. Aber Morden? Nie! Ich glaube immer noch, Sie haben sich getäuscht. Außerdem ist von denen noch keiner da. Jedenfalls habe ich niemand gesehen – bis jetzt.“
„Denken Sie vielleicht, ich phantasiere!“
„Das blamiert Sie doch nicht, Monsieur Dayton. Heute liegt was in der Luft. Vor dem Essen glaubte ich für einen Moment, ich würde ohnmächtig werden. In einem so komischen Zustand war ich noch nie.“
„Sie auch? Offenbar ging das allen so. Was ist mit dem Licht?“
Ein Motor erzeugte Strom. Mochte der Himmel wissen, womit der getrieben wurde. Es roch ein bißchen nach Öl. Surrend setzte er ein. Der Akku gab Strom ab. Überall funzelte Licht auf. Flure und Gänge wurden in düstere Beleuchtung getaucht.
Im Haupthof, erklärte
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