098 - Horrortrip ins Tal der Toten
Erdmann, gäbe es nur eine einzige Lampe, die beim Tor.
Sie traten ins Freie. Erdmann knipste die Lampe an. Eisiger Wind wehte von den Bergen. Henry spürte jetzt, daß er keine Jacke trug. Aber vielleicht war es innere Kälte.
Hoch über dem Haupttor brannte die Lampe, verdreckt seit ewigen Zeiten, ohnehin nur ein mondfarbener Klecks in der Nacht. Ihr Schein reichte knapp bis zum Boden. Von hier aus erkannte man gar nichts. Henry nahm Erdmanns Taschenlampe zu Hilfe.
Sie liefen hinüber.
„Weiter links“, sagte Henry leise. „Sie liegt knapp außerhalb des Lichtkreises.“
Er leuchtete in die Schwärze auf die richtige Stelle. Aber die Tote war verschwunden.
Erdmann lachte hohl. „Sagte ich es doch!“
„Quatsch! Sehen Sie sich den Boden an! Alles voller Blut. Los, fassen Sie nur hinein. Und die Schleifspur zum Tor? Kriechen konnte Louise Vichet bestimmt nicht mehr. Leider!“
Erdmann richtete sich auf. „Es … es … ist … Es ist … Blut!“
„Sagte ich es doch!“
„Mein Gott! Also doch!“
„Jetzt fallen Sie mir nicht in Ohnmacht. Vielleicht brauche ich Ihre Hilfe. Wir suchen die andere Frau. Los!“
Sie liefen zum Ritterhaustor. Dort war keine Lampe. Henry leuchtete den Boden ab. Auch hier Schleifspuren. Sie rannten zum Nordhof. Von dort gab es keinen Ausweg. Hohe Mauern ringsum, Wehrgänge, steile Wände, Schießscharten, der Turm, die Begrenzungsmauer zum Haupthof. Einen Teil dieser Begrenzung bildete die fensterlose Rückfront des Landgrafenhauses.
„Sollen wir nicht lieber … ich meine, eine Waffe … Ich habe ein Jagdgewehr. Himmel, wo habe ich es? Im… nein, doch im Turm! Mist!“ Sein Arm deutete in die Dunkelheit des Nordhofs. „In dem Turm.“
„Dann müssen wir erst mal hinüber“, murmelte Henry. Er ballte die rechte Hand zur Faust. „Na, der Hammer ist auch nicht ohne. Wenn wir nur wüßten, welches Gesindel sich hier rumtreibt!“
Mit einem dünnen Strahl leuchtete die Taschenlampe. Er lief voran. Immer auf der Schleifspur. Verwischte Blutflecke wiesen den Weg. An der Rückfront des Landgrafenhauses entlang bis zur Mauer.
Der Strahl traf etwas Helles, fiel auf gebrochene Augen. Entsetzen lähmte Henry. Für zwei, drei Sekunden war er unfähig, das Licht abzuwenden. Hinter ihm gab Erdmann gurgelnde Laute von sich. In seiner Kehle würgte es.
Henry wußte auch ihren Namen: Juliette Dubois, etwa 40, sehr apart. Sie reiste allein. Was jetzt von ihr übrig war…
Auch hier hatte die Bestie mit einem Biß in die Kehle getötet, den Hals zerfleischt, aber außerdem …
Sie war entblößt bis zum Nabel. Scharfe Zähne hatten…
„Es muß ein Raubtier sein“, sagte Henry rauh. „Eine hungrige Bestie. Deshalb auch der penetrante Gestank.“
„Wenn es uns anfällt“, wimmerte Erdmann, „sind wir verloren.“
„Holen Sie das Gewehr!“
Er rührte sich nicht.
„Gut, ich komme mit.“
Die Turmtür war nicht verschlossen. Erdmann sparte mit Maschinenöl. Die Scharniere knarrten. Fünf Räume lagen übereinander. Im Zickzack führte eine halsbrecherische Treppe hinauf.
„Ganz oben!“ flüsterte Erdmann. Er sah über seine Schulter zurück, als erwarte er die Bestie im Genick.
Sie hasteten hinauf. Die Tür war niedrig. Es gab elektrisches Licht und eine Lampe mit grünem Schirm unter der weißgekalkten Decke. Die Möbel sahen aus nach Plüsch und Bauernbarock.
Erdmann riß einen schön bemalten Eckschrank auf. Das Gewehr lehnte darin, Mündung nach unten. Henry warf nur einen Blick darauf.
„Schrot! Und so kleines Kaliber. Mit einem Blasrohr erreichen Sie mehr. Haben Sie auf Spatzen geschossen?“
„Ich hasse Schußwaffen. Es stammt von meinem Vater. Können Sie damit umgehen? Hier sind noch Patronen in der Schachtel.“
Es war eine doppelläufige Flinte. Henry kippte das Schloß auf. „Na ja, funktionieren wird sie wohl. Und ganze 22 Patronen. Wenn jede Schrotladung trifft, können wir die Bestie vielleicht beeindrucken. Jetzt hilft alles nichts: Wir müssen die Gäste informieren.“
Das Turmfenster stand offen. Nur der Holzladen war geschlossen. Henry wollte zur Tür. Im selben Moment hörten sie den Schrei. Gellend, schrill, erfüllt von panischer Todesangst. Zwei, höchstens drei Sekunden schwebte er über dem Tal, brach dann ab. Henry zuckte zusammen. Jetzt, wußte er, schlagen sich gierige Reißzähne in den Hals des Opfers.
„Grauenvoll!“ stammelte Erdmann. „Das war unten im Dorf. Oft dringt der Schall von dort herauf. Sollen wir … nein!
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