0980 - Die Rächerin
Marionetten, vor dem jungen Publikum verbeugten. Ohne es zu wollen, ging sie langsamer. Sie war einfach abgelenkt worden.
Die Verzögerung bekam ihr nicht gut, denn beide Messerspitzen ritzten ihre Haut an, und die Frau neben ihr zischte sie böse an.
»Was willst du? Willst du jetzt schon sterben?«
»Nein, aber…«
»Dann geh weiter!«
Das hatte Shao zwar vorgehabt, doch die Umstände waren plötzlich gegen sie. Wie eine wirbelnde Wolke strömten die Kinder aus dem Zelt. Sie waren noch aufgeheizt durch das Spiel, und Shao erkannte mit Schrecken, dass die jungen Besucher auf nichts Rücksicht nahmen. Sie stürmten geradewegs auf die Frauen zu. Lachen, freudig und auch froh darüber, sich wieder bewegen zu können.
Die beiden Frauen waren irritiert und wurden angerempelt. Ein Mädchen streckte ihnen die Zunge raus. Ein Junge tanzte vor ihnen.
Er sprang dabei auf und ab und hielt seine Hände wie Antennen vom Kopf weg.
Shao trat zu. Die Gelegenheit war günstig, weil sie jemand angestoßen hatte. Sie trat auf die Zehen der neben ihr stehenden Frau, die davon überrascht wurde, einen lauten Schrei ausstieß und sekundenlang nicht mehr an ihr Messer dachte.
Shao rammte sie mit einem wuchtigen Stoß. Die Frau fiel hin. Einige Kinder riss sie noch mit zu Boden.
Etwas funkelte in der Sonne. Die lange Klinge stach aus ihrer Faust hervor, und Shao hatte plötzlich Angst um die Kinder.
Sie wollte sich auf die Kidnapperin stürzen, um ihr das Messer zu entwinden, aber die Frau war schneller und kroch schlangengleich von ihr weg. Zusätzlich wurde Shao noch durch die Kinder behindert, die ihren Spaß hatten, weil sie dachten, dass sich die Erwachsenen prügelten. Inzwischen hatte sich die Asiatin wieder aufgerafft und rannte auf das zweite Zelt, zu, wo man sich die extremen Menschen gegen Eintritt anschauen konnte.
Auch die zweite Messerheldin war verschwunden. Sie hatte nicht zugestoßen. Shao kannte den Grund nicht. Wahrscheinlich war auch sie von den Kindern bedrängt worden, die jetzt weiterliefen, weil sie sahen, dass die Action vorbei war.
Shao stand plötzlich wieder allein. Sie konnte sich bewegen, und sie atmete tief durch.
Der erste Schock war vorbei. Sie hatte es mit viel Glück geschafft, aber sie spürte auch die Spuren, die beide Messerspitzen hinterlassen hatten.
An der Hüfte und am Rücken traten die Schmerzen auf. Als Shao hintastete, da wurden ihre Fingerkuppen vom eigenen Blut feucht.
Was tun? Aufgeben oder die beiden verfolgen?
In ihrem Kopf kreiselten die Gedanken. Sie stand inmitten des Trubels, aber sie fühlte sich trotzdem einsam. Sie spürte den Druck der Beretta-Pistole unter dem gelben T-Shirt auf der nackten Haut.
Das beruhigte sie kaum. Sie wünschte sich statt dessen wieder zurück in die alten Zeiten, wo sie als Botin der Sonnengöttin Amaterasu aufgetreten war, bewaffnet mit einer Armbrust und einem Köcher voller Pfeile, das Gesicht von einer Halbmaske verdeckt.
Sie wusste nicht, ob die Zeiten wiederkehrten und sich jetzt, wo es den Feind der Göttin nicht mehr gab, etwas in den anderen Dimensionen änderte, aber sie hoffte darauf, in irgendeiner Art und Weise daran beteiligt zu werden.
Das waren Wunschträume jenseits der Realität. Die sah für Shao anders aus. Sie stand hier in der Sonne und schaute auf den Eingang des zweiten Zelts. Dort befand sich auch die Kasse. Wer die ungewöhnlichen Menschen sehen wollte, musste schon hineingehen. Auf einer Bühne hockten sie und ließen sich begaffen.
Hin und wieder hörte Shao den Kampfschrei eines Mannes. Andere Besucher wurden davon angelockt und strömten an Shao vorbei.
Auch sie ging vor, als die Kasse für einen Moment frei war. Shao war jemand, die eine Rechnung beglich, und die beiden Frauen mit den kurzen Haaren hatten bei ihr noch eine Rechnung offen.
An der Kasse hockte eine zwergenhafte Gestalt in roter Kutte. Das Gesicht des Mannes schmückte ein breiter und an den Enden geschwungener Schnäuzer.
Shao zahlte, bekam eine Karte und wurde noch gewarnt. »Für schöne Frauen kann ich nicht garantieren.«
»Ach, wie meinst du das?«
»Das wirst du schon sehen.«
Shao lächelte knapp und ging. Ihr kam es nicht darauf an, die hier ausgestellten Menschen zu begaffen, sie suchte ihre beiden Gegnerinnen, die das Zelt noch nicht wieder verlasen hatten, jedenfalls nicht durch den Eingang an der Kasse, also befanden sie sich noch unter den Zuschauern.
Als zahlender Gast musste man bis zu einer Absperrung vorgehen, einem
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