0984 - Tränenwelt am Abgrund
niemals zu diesem allerletzten Mittel gegriffen, wenn es nicht unbedingt nötig wäre. Hör mir bitte zu. Ich bin Siid vom Volke der Sandformer. Zusammen mit dem tapferen Kachan’uu ist es uns gelungen, Volkes Vater des Verrats zu überführen. Er selbst ist nicht nur der Anführer von Maas Jüngern, sondern auch deren Gründer. Da nur du über ihn zu Gericht sitzen kannst, wirst du verstehen, dass wir diesen Weg wählen mussten, um dich von dieser Ungeheuerlichkeit in Kenntnis zu setzen. Und weil Kachan’uu es trotz allem nicht konnte, habe ich diese Aufgabe übernommen.«
»Das kann jeder behaupten.« Volkes Mutter starrte Asmodis einen Moment lang an. Er spürte, dass das Kraftfeld ihn nun noch stärker durchdrang und ihn durchleuchtete. »Welche Beweise habt ihr für eure Anschuldigungen?«
»Unwiderlegbare Beweise, Volkes Mutter. Wenn du mir die Erlaubnis gibst, werde ich dich besuchen und dir diese Beweise bringen. Und ich schleppe Arachn’uu vor dich, damit er sich rechtfertigen kann. Wenn du alles gesehen und ihn befragt hast, werde ich mich jedem Urteil, das du fällst, beugen.«
Die Urmutter überlegte einen Moment. »Also gut. Ich gewähre dir und Kachan’uu Einlass in mein Haus. Der ›Priester an der Spitze‹ wird ohnehin mein neuer Eierbefruchter, wenn sich eure Vorwürfe bewahrheiten sollten. Überzeugen sie mich jedoch nicht, ist nicht nur dein, sondern auch Kachan’uus Leben verwirkt.«
»So soll es sein, Volkes Mutter.«
»Dann kommt in mein Haus. Sofort. Und bringt Arachn’uu mit.«
Sie betäubten den Verräter, ließen ihn in sein rotes Gewand gehüllt und schleppten ihn mit sich. Irgendwann wuselte es von Mach’uu um sie herum.
»Diener«, erklärte Kachan’uu. »Sie alle sind irgendwie mit den Brutnestern beschäftigt. Wir sind hier bereits im Außenbereich des Wunderbaren Hauses, der Heimat von Volkes Mutter.«
Der »Priester an der Spitze«, der von den Soldaten ehrerbietig gegrüßt wurde, hielt kurz inne und deutete auf eine mächtige Tür aus einer Art Eisen. »Dahinter ist verbotenes Gebiet für uns. Normalerweise. Durch diese Tür darf nur noch Volkes Vater treten. Und die, die die Erlaubnis haben. Das sind Siid und ich. Wir werden den Verräter nun vor Volkes Mutter schleppen, denn sie wohnt hinter dieser Tür.«
Asmodis machte das Zeichen der Zustimmung. »Na, dann mal los.« Doch bevor er durch die Tür trat, schweiften seine Gedanken ganz kurz in die nahe Vergangenheit zurück.
Asmodis’ Erinnerungen
Es gab keinen Zweifel. Das Herz des Sandformer-Planeten befand sich auf Mach’uu-Welt. Irgendwo im Wunderbaren Haus dieses seltsamen Wesens, das Volkes Mutter genannt wurde. Das magische Kraftfeld, das um diese Zone lag, war unglaublich stark. Und es wies eindeutig LUZIFERs Aura auf, intensiver als an jedem anderen Ort des Planeten.
Volkes Mutter hütete die Träne, die er unbedingt benötigte.
Was mache ich? Den einfachsten Weg nehmen natürlich. Ich springe hinein, reiße die Träne an mich und verschwinde flugs wieder. Möglicherweise klappt das sogar. Frechheit siegt meistens.
Asmodis wusste, dass er sich auf eine Höllenhund-Mission begab. Es war ein nicht unbeträchtliches Risiko, das er einging, denn er hatte keinerlei Vorstellung von der wahren Stärke der Urmutter und noch weniger davon, wie sie auf Eindringlinge reagierte. Da es aber wohl seit Äonen keine Eindringlinge mehr im Wunderbaren Haus gegeben hatte, setzte er auf den Überraschungseffekt. Wer keine Gefahr fürchten musste, wurde in aller Regel nachlässig…
Asmodis sprang. Plötzlich schritt er über eine weite Ebene, deren Untergrund keine feste Farbe besaß. Wo immer der Erzdämon auch hinblickte, bekam er innerhalb eines Augenblicks ein ganzes Konglomerat davon zu sehen. Erschien die fixierte Stelle im ersten Moment schwarz, so schimmerte sie bereits im nächsten Moment in kupfernem Weiß, giftigem Grün oder wie glänzendes Stahlblau. Egal, wie die Farbe auch immer war, eine Konstante dazwischen gab es: das strahlend rote Blut nämlich, das aus diesem Boden quoll, sich zu einer Art fahlgelber Schleimstränge verdrehte und wieder im Nirgendwo verschwand.
Asmodis plagte die Angst. Seit vielen Äonen schon. Und sie nahm nicht ab. Er wusste, dass diese Ebene aus manifestiertem Tod bestand. Dieses Wissen war ihm zugeflossen, irgendwie, als er vor Jahrmillionen zum ersten Mal seinen Fuß auf dieses engelgesegnete Stück Land gesetzt hatte. Seither wanderte er. Wie ein kleiner, verlorener
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