0984 - Tränenwelt am Abgrund
Irrwisch, mit eingezogenem Schweif. Der ewige Wanderer. Ohne Aussicht, den Tod jemals überwinden zu können.
Manifestierter Tod! Das war etwas, das er selbst als hochbegabtes magisches Wesen nicht im Ansatz begreifen konnte. Denn auch er selbst unterlag den Gesetzen des Todes und war damit nicht Herr über ihn; selbst wenn er als extrem langlebiger Teufel in den letzten Jahrtausenden immer mal wieder diesem Trugschluss erlegen war.
Nein, Asmodis konnte sich nicht in die Strukturen hinein finden, die diese Ebene errichteten. Und wollte es auch nicht. Denn sie »fühlten« sich so fremd an, unendlich machtvoll und so grauenhaft anders, dass ihn immer wieder davor schauderte. Seit Jahrmillionen.
Irgendetwas war plötzlich anders. Ein gigantisches Wesen erschien am Horizont. Eine - Ameise? Sie blickte auf ihn herunter, während ihr riesiger Unterleib zuckte. Ihre mächtigen Kieferzangen mahlten, in ihren Facettenaugen glitzerte es drohend.
Asmodis wimmerte. Er kam sich klein und unbedeutend vor. Das über ihm war der manifestierte Tod. Er war gekommen, um ihn endgültig zu holen, um ihn der schrecklichen Ebene einzuverleiben, um schwarz-kupferweiß-giftiggrün-stahlblau-blutrot-fahlgelb aus ihm zu machen.
Die Kieferzangen des manifestierten Todes rasten auf ihn herunter. In diesem Moment baute sich eine gewaltige Kraft in seinem Innern auf. Sie explodierte. Der manifestierte Zangentod wurde über den Horizont zurückgeschleudert, der Erzdämon fand sich im nächsten Moment auf einem Hügel, versteckt zwischen Bäumen, wieder. Sein Ausgangspunkt.
Asmodis keuchte. »Ein Satz mit x. Das war wohl nix.« Er schaute auf seine Hände. Sie zitterten leicht. »Ohne die Alte Kraft würde ich wohl tatsächlich noch in Jahrmillionen auf dieser Ebene herumirren. Eine wahrhaft teuflische Falle!«
Asmodis fand wieder in die Wirklichkeit zurück. Würde es jetzt, da er sich die Erlaubnis erschlichen hatte, besser klappen?
Der Erzdämon spürte einen Moment lang Panik, als er, Arachn’uu geschultert, hinter dem »Priester an der Spitze« an die Tür trat. Kachan’uu rezitierte laut die magische Formel, die ihm Volkes Mutter »in den Kopf gepflanzt« hatte, wie er es selbst ausdrückte. Dann atmete er zwei Mal tief durch - und drückte die Tür auf. Außer einem schwarzen Flimmern, wie es auch LUZIFERs Standbild umgab, war nichts zu sehen. Kachan’uus erster Schritt war zögerlich, doch dann trat er entschlossen ein.
Asmodis folgte ihm auf dem Fuße. Für einen Moment hatte er das Gefühl, durch Jahrmilliarden alte Abgründe von Zeit und Raum zu schweben, doch die hier wirkenden Kräfte verhielten sich nicht mehr feindselig. Schon im nächsten Moment trat er wieder aus dem Flimmern heraus und sah sich um.
Kachan’uu war hingerissen. Auch Asmodis staunte über die riesige, höhlenartige Anlage, die das Herz des Mach’uu-Imperiums bildete. Sie besaß einen ungefähren Grundflächendurchmesser von fast vier Kilometern, während sich die unregelmäßig verlaufende Decke in etwa einhundertzwanzig Metern Höhe befand. Wild gegeneinander verbaute Flächen ließen die Decke frei schwebend aussehen. Trotzdem wirkte das Ganze auf seltsame Weise harmonisch. Asmodis begriff sofort, dass sie hier in einem Gebilde aus reiner Magie standen. Das galt auch für das seltsame schwarze Leuchten, das den gesamten Komplex zu erfüllen schien. Asmodis konnte nicht ausmachen, von wo es ausging.
Mit den dreiundzwanzig riesigen, kugelförmigen Gebilden, die, nur an ihrer Rückwand festgemacht, an einer Wandseite des Wunderbaren Hauses hingen, hatten sich die Erbauer aber noch eindrucksvoller verewigt. Diese Gebilde besaßen gute fünfzig Meter Durchmesser und wirkten wie monströse Schwalbennester. Darüber befand sich eine Art Plateau.
Genau siebzig Meter dreiundsechzig hoch, dachte Asmodis, der sich gar nicht bewusst war, menschliche Zählmaße zu benutzen. Das hing damit zusammen, dass er ewig lange unter den Menschen gelebt und gewirkt hatte. Nicht immer zu deren Nachteil.
Was sich auf dem Plateau befand, sah er nicht. Und er hütete sich, seine Magie einzusetzen, um es herauszubekommen. Denn er wollte seine Tarnung nicht unnötigerweise riskieren. Er hoffte dabei, dass ihn die Urmutter tatsächlich nicht durchschaute; diese Ungewissheit, was sie tatsächlich drauf hatte, war das Risiko, das er eingehen musste.
Bald würde er es sehen.
»Wohin?«, fragte Kachan’uu und sah sich ratlos um.
In diesem Moment begann es auf dem Plateau
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