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0985 - Libertys Tränen

0985 - Libertys Tränen

Titel: 0985 - Libertys Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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lachte humorlos. »Momentan kann ich schon froh sein, wenn die Wolken und der Nebel mir noch Hart Island zeigen. Schon seltsam, dieser hartnäckige Herbst im Frühjahr.«
    Amy spürte seine Nähe. Wohlige, fast teenagereske Wärme erfüllte sie, und für einen Moment war sie versucht, ihm seine Hirngespinste nachzusehen. Wer hatte denn bitte schön keine Macken?
    Doch dann meldete sich die Küstenwache wieder. » Negativ, CIPD. Wir haben neue Auf nahmen gemacht, können aber auf keiner eine Schrift oder ähnliches entdecken.«
    »Das ist unmöglich«, murmelte Andy und eilte zurück zum Mikrofon. »Ich hab sie doch gesehen. Bosworth ebenfalls.« Doch so sehr er auch argumentierte, der Mann von der Küstenwache blieb bei seiner - zweifellos zutreffenden - Auskunft.
    Demnach war da entweder noch nie eine wie auch immer geartete Blutschrift, folgerte Amy, oder sie ist sogar so unsichtbar, dass sie nachträglich von Fotografien verschwindet.
    Als sie in Andys Augen sah, wusste sie, welche der beiden Alternativen er weiterverfolgen wollte.
    »Dann eben auf die harte Tour«, brummte der Sergeant resignierend. »Amy, Sie prüfen nach, ob Sie hier irgendwo eine Anna Hook oder so finden, lebend oder tot. Ich telefoniere derweil mal der Familie Stone und ihrer Tränen hinterher.«
    Amy seufzte und ergab sich ihrem Schicksal. Spinner oder nicht - dieser Sipowicz hatte was. Und das konnte man längst nicht von allen Männern auf City Island sagen.
    Kapitel 3
    Tödlicher Notruf
    Das Historische Museum, vor dem bereits die Bühne für die große Jubiläumsfeier aufgebaut war, befand sich Fortham Ecke Minnieford und war ein quadratischer, dreigeschossiger Klotz aus rotem Backstein und weiß umrahmten Fenstern. Ein Drittel seiner Räumlichkeiten galt den Sinawoy und anderen lokalen Indianerstämmen, ein zweites der hiesigen Schifffahrt und Fischerei. Das dritte Drittel teilten sich der Souvenirshop und die Verwaltungsbüros.
    Lyle Jennings stand in ersterem, umgeben von Postkartenständern, T-Shirts mit Museumslogo und überteuerten Hochglanzbildbänden, und glaubte zu spüren, wie sein Herz stehen blieb.
    »Nein!«, keuchte er. »Das kann nicht sein.«
    Er war allein im Haus. Das wusste er genau. Der schwere Regen, der eben draußen eingesetzt hatte, und die neblig kalte Luft von der Bay vertrieben etwaige Laufkundschaft, und von den Einheimischen kam ohnehin kaum noch jemand hier vorbei.
    Das machte umso unmöglicher, was Lyle gerade sah und hörte.
    »Du wirstl«, wiederholte der andere Mann. Der, der nicht da sein konnte. Der, der aussah wie Lyle selbst. »Das war keine Bitte, Lyle.«
    Der Kurator traute seinen Augen nicht. Dort vor sich im Spiegel - dieser Fremde glich ihm aufs Haar und sprach mit seiner Stimme! Doch was er sagte…
    Lyle hatte sich schnell wieder an das Schmuckstück draußen auf der Tränen erinnert. Und zu seiner eigenen Überraschung hatte er sofort gewusst, wie er sich seines bemächtigen konnte. Ein, zwei Anrufe, ein, zwei eingeforderte Gefallen und ein, zwei Stunden später stand das Ding in seinem Museum, als wäre es nie woanders gewesen. Die Polizei würde es nicht vermissen, davon war er inzwischen überzeugt, und die Vorbesitzer lebten nicht mehr. Vermutlich hätte das CIPD den Spiegel irgendwann versteigert. Das konnte Lyle nicht zulassen; ein solches historisches Kunstwerk gehörte zu jemandem, der es wertschätzen konnte. Jemandem, der es pflegen und seine Bedeutung bewahren würde. Jemandem wie ihm.
    Und nun zerbrach es seine Welt!
    Lyle spürte, wie eine eigenartige Taubheit von ihm Besitz ergriff. Und er ahnte, woher diese stammte - so absurd das auch war. »Was… Was geschieht hier?« Schon knickten seine Beine ein. Seine Arme waren wie Fremdkörper, die nicht länger zu ihm gehörten.
    Der Lyle im Spiegel stand noch immer. »Ich fürchte, ich muss dir eine Lektion erteilen, mein Freund«, sagte er tadelnd. Dann ging er zur Theke des Souvenirladens und zog die Papierschere aus der Schublade neben der Kasse.
    Lyles Atem ging inzwischen stoßweise. Hilflos und wehrlos kauerte der Kurator auf dem kalten PVC, zu nahezu völliger Reglosigkeit verdammt. Die Welt, so schien es, wurde kleiner und kleiner. Der Raum begann vor seinen Augen zu verschwimmen.
    Der Lyle im Spiegel hatte die Schere, die es doch nur im Spiegel gab, inzwischen in die Höhe gereckt - und ließ sie mit einem diabolischen Grinsen und voller Wucht in seinen anderen Arm fahren!
    Lyle schrie auf, als der Schmerz, der eigentlich

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