0985 - Luzifers Gesandte
deinen Killerkörper spürst. Dann hätte ich dich schreien hören können, dann…« Seine Stimme versagte, weil er husten mußte. Er hatte sich einfach zu sehr angestrengt, aber der Mann kam jetzt seiner Pflicht nach und schob die Bahre aus dem Dunkel der Kammer in das kalte Licht der gefliesten Obduktionshalle hinein, wo der Tod stündlich zu Gast war und auf eine medizinische Art und Weise ritualisiert worden war.
Das standen die Metalltische mit den Ablaufrinnen für das Blut. Da lagen auf weichen Papiertüchern all die Geräte, die für die Obduktion benötigt wurden. Da ragten die großen Waschbecken aus den Wänden hervor, und da standen auch die viereckigen Kunststoffeimer auf dem Boden, die den Abfall aufnahmen.
Das sah der Wanderer, denn er hatte die Decke etwas nach unten gezogen. Er schaute zudem auf den Rücken des Mannes, der die fahrbare Bahre hinter sich herzog, um sie zwischen zwei Obduktionstischen zu plazieren.
Auf einem lag die Leiche einer jungen Frau. Sie sah schlimm aus, denn man hatte ihr den Kopf geöffnet und diese Stelle nicht wieder verdeckt.
Der kleine Mann mit den roten Haaren war für den Wanderer kein Gegner.
Er trug einen weißen Kittel, der an einigen Stellen rote und schon braune Flecken zeigte. Blutreste. Einige frisch, andere bereits eingetrocknet. Der Rothaarige drehte die Bahre so, daß sie dicht neben dem leeren Tisch zum Stehen kam. So brauchte der Killer nur von einer Seite zur anderen gehievt zu werden.
Der rothaarige Mann war so in seine Arbeit vertieft gewesen, daß ihn das Verrutschen des Lakens nicht aufgefallen war. Erst jetzt, als er einen Schritt zurücktrat, warf er einen Blick gegen den Kopf des Toten - und sah es.
Er fror ein!
Der Wanderer hielt die Augen nicht ganz geschlossen, deshalb konnte er den anderen auch beobachten. Doch das fiel kaum auf.
Der Rothaarige trug eine Brille mit halben Gläsern. Er hatte eine große Nase, aus deren Löchern ebenfalls kleine, rote Härchen wie Büscheln wuchsen. Der Mund mit den dicken Lippen hatte sich verzogen, was auch zu dem halb staunenden und halb entsetzten Ausdruck des Gesichts paßte. Dieser Mensch kam mit der neuen Lage nicht zurecht.
Er schwebte zwischen den Fronten und machte den Eindruck einer Person, die sich nicht sicher war, was sie unternehmen sollte.
Noch dachte der Mann darüber nach, ob das Laken schon verrutscht gewesen war, oder ob dies geschehen war, als er die Bahre aus der Kammer gezogen hatte.
Daß der Tote selbst sich dafür verantwortlich zeigte, kam ihm nicht in den Sinn. Der Mann glaubte mehr daran, daß er durch eine Unachtsamkeit das Laken berührt und es vom Gesicht der Leiche weggezogen hatte.
»Dustin, du bist ein Idiot!« sprach der Rothaarige mit sich selbst. »Läßt dich von so einem Bockmist erschrecken. Verdammt noch mal, wie lange arbeitest du schon hier unten?« Er schüttelte über sich selbst den Kopf und trat wieder an den Toten heran. Es gefiel ihm einfach nicht, daß der Kopf nicht zugedeckt war. Bei anderen Leichen hätte es ihn nicht gekümmert, aber diesen vierfachen Killer wollte er auf keinen Fall anschauen.
Er faßte nach dem leichten Laken, hob es an und wollte den Stoff wieder über das Gesicht legen. Der Wanderer hatte alles gesehen.
Es war günstig für ihn gelaufen. Es freute ihn direkt, wie dieser Mensch reagierte, denn das kam ihm wunderbar entgegen.
Der Mann mit dem Vornamen Dustin hob den Stoff an. Er legte ihn zurecht, aber er achtete dabei nicht auf die rechte Hand des angeblich Toten.
Die schnellte vor.
Mit einem gedankenschnellen Griff umklammerte sie das linke Handgelenk des Rothaarigen…
***
Es war dieser Moment im Dasein eines Menschen, den wohl jeder irgendwann einmal erlebt. Der absolute Schock, dieser Treffer, mit dem niemand gerechnet hatte und auch niemand rechnen konnte, denn ein Toter war in der Regel tot. Es gab wenige Ausnahmen, da aber wurde von einem Scheintot gesprochen, nur wachten Scheintote nicht so plötzlich auf und griffen andere an.
Dustin spürte es.
Er tat nichts. Er stand nur da. Er wußte auch nicht, auf was er sich konzentrieren sollte. Der Druck dieser kalten Totenfinger hielt sein Gelenk umklammert. Es war eine Tatsache, nur wollte Dustin sie nicht akzeptieren.
Er konnte einfach nicht daran glauben, daß er tatsächlich von der Klaue eines vierfachen Mörders festgehalten wurde. Das paßte nicht in seine Welt.
Er war zwar kein Mediziner, sondern mehr als Helfer tätig, aber die Jahre, die er in dieser
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