099 - Das Hochhaus der Vampire
Zeigen Sie mir ihre Tür, Ann!“
Sie gingen auf den Flur. Davidson holte eine Kreide aus der Tasche und zog eine verschnörkelte Linie auf den Boden vor Mrs. Kants Apartmenttür.
„Mit einem simplen Strich wollen Sie etwas ausrichten?“ wunderte sich Ann.
„Warum nicht?“ entgegnete er. „Es ist ja nicht der Strich, sondern der Sinn, der drinnen steckt. Sie reagieren ja auch auf Verkehrszeichen, auf simple Blechschilder, die bunt angemalt sind. Passen Sie auf!“
Er drückte auf den Klingelknopf an Mrs. Kants Tür. Sie hörten drinnen das Glockenspiel, wie es in jedem Apartment eingebaut war. Schritte kamen näher.
„Treten wir etwas zurück, sonst hat sie keine Veranlassung, die Linie zu überschreiten!“
Ann gehorchte. Die Tür wurde geöffnet. Drinnen klapperten die Stahlmöbel. Mrs. Kant kam mit aufgelösten Haaren aus ihrem Apartment. An der Linie stoppte sie mit einem gellenden Schrei, als wäre sie gegen eine unsichtbare Wand gerannt. Sie hielt sich die schmerzende Stirn und funkelte Davidson aus haßerfüllten Augen an.
„Was haben Sie gemacht, Sie…?“
„Sagen Sie nicht Teufel“, lächelte Davidson. „Der Boß ist da recht empfindlich!“
Mrs. Kant wollte nach ihm treten, aber ihr Fuß stieß wieder gegen das unsichtbare Hindernis. Verblüfft hob sie das Bein und rieb sich die Zehen. Ihr Blick fiel erst jetzt auf die verschlungene Linie, und auf einmal sträubten sich ihre Haare, und ihr Rücken wölbte sich hoch. Ein Fauchen kam aus ihrem Mund, als sie sich langsam in ihr Apartment zurückzog. Die Tür flog zu, daß drinnen wieder die Metallschränke bebten.
„Jetzt wissen wir’s“, sagte Davidson befriedigt. Seine Gestalt, die hoch aufgerichtet gewesen war, sank wieder zu der eines krummen alten Mannes zusammen.
Aus Mrs. Kants Apartment kam ihre keifende Stimme.
„Sie telefoniert“, stellte Ann fest.
„Vermutlich ruft sie den Service an, daß er den Boden saubermacht. Sonst kann sie ja nicht heraus!“
„Oder sie ruft irgend etwas zu Hilfe!“ gab Ann zu bedenken.
„Das braucht sie nicht. Was hier eben passiert ist, schlägt in der anderen Welt zumindest solche Wellen wie in der hiesigen ein Verkehrsunfall.“
„Was wird jetzt geschehen?“ fragte Ann besorgt.
„Das kommt darauf an, ob man noch jemanden exponieren will, oder ob man Mrs. Kant ihr Mißgeschick allein ausbaden läßt. Die von ‚drüben’ reagieren nicht viel anders als wir. Wenn Mrs. Kant wichtig ist, wird man jemanden schicken.“
Er hatte gerade zu Ende gesprochen, als die Lifttüren auf glitten und zwei Uniformierte heraus stürzten.
„Was für Männer sind das?“ fragte Davidson.
„Der Sicherheitsdienst des Hauses.“
Es waren zwei bullige Kerle mit zerschlagenen Gesichtern. Sie steckten in schwarzen Uniformen und hatten Schlagstöcke in den Händen.
Sie rannten auf Davidson und Ann zu.
„Sie haben Mrs. Kant überfallen?“ fragte der größere der Form halber. Auf detaillierte Ermittlungen schienen sie keinen Wert zu legen. Ann erschauerte, als sie in die verzerrten Visagen blickte und die primitive Grausamkeit in ihren Augen gewahrte. Davidson schien völlig ruhig. Er hob den rechten Arm, in der Hand hielt er etwas Blinkendes, daß er herumwirbeln ließ.
„Seht mal, was ich hier gefunden habe“, sagte er mit sanfter, zwingender Stimme. Sie blickten überrascht auf das Ding.
„Ihr wollt das gern haben“, fuhr Davidson fort. „Jeder von euch will es unbedingt, aber der andere wird es ihm wegnehmen. So wehrt euch doch!“
Wie gebannt starrten sie auf das Ding, dann wandten sie sich einander zu. Ihre Fäuste krampften sich um die Schlagstöcke. Sie maßen sich mit wütenden Blicken, bleckten die Zähne, und plötzlich, wie auf ein geheimes Kommando, prügelten sie aufeinander los. Ann klammerte sich vor Schreck an den Professor, als sie die klatschenden Schläge vernahm und sah, wie besinnungslos die beiden Männer aufeinander eindroschen. Dem einen platzte die Augenbraue, dem anderen floß ein Blutschwall aus der Nase.
„Genug jetzt“, sagte Davidson, und sofort hörten sie auf. Schwer atmend standen sie sich gegenüber. „Ihr geht jetzt zum Lift und fahrt hinunter. Ihr vergeßt, daß ihr uns hier gesehen habt. Mrs. Kant hat sich geirrt, alles ist gut. Geht!“
Sie wandten sich ab und trotteten zu den Lifts zurück. Davidson nahm den Arm, den er schützend um Anns Schulter gelegt hatte, herunter und steckte das blitzende Ding in die Hosentasche.
„Was war das?“ fragte
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