0994 - Unheil über Shortgate
dieser Dörfer war man froh, wenn Besucher kamen, mal übernachteten und ihr Geld daließen. Auch Shortgate sah so aus, als könnte es eine Finanzspritze gut vertragen, das hatte Sarah schon erkennen können. Es mußte also einen anderen Grund dafür geben, weshalb man sich querstellte.
»Man bleibt also hier.«
»Ja.«
»Warum?«
»Nur so.«
»Oder gibt es etwas, das die Menschen hier festhält oder mit einander verbindet?«
Ellen starrte die Horror-Oma an. »Kein Kommentar.«
Sarah schüttelte den Kopf. »Warum denn nicht? Habe ich etwas falsch gemacht?«
»Nein.«
»Dann können Sie doch antworten.«
»Das habe ich bereits.«
»Stimmt. Aber so ausweichend, meine Liebe. Kann es sein, daß Ihr Verhalten mit dem Altenhotel zusammenhängt? Daß Sie deshalb so unwirsch reagiert haben?«
Ellen spannte sich. »Wie - wie meinen Sie das denn?« fragte sie nach einer Weile.
»Ich bin dort oben gewesen und…«
»Da hätten Sie auch bleiben können.«
»Das wollte ich wiederum nicht, denn sehr einladend sah der Bau nicht eben aus.«
»Ist nicht mein Problem.«
»Waren Sie schon einmal dort?«
Ellen starrte die Wand auf der anderen Seite an. »Ja«, gab sie zu, »einmal.«
»Und?«
»Mich hält da nichts. Es sind Menschen, okay, aber sie kamen mir vor wie Zombies. Und dann diese Ash - furchtbar! Vor ihr kann man Angst kriegen. Die ist schrecklich. Die macht jeden fertig - jeden. Ob Mann oder Frau, und ihr Einfluß reicht auch bis hier nach Shortgate, das steht fest.«
»Was unternimmt sie denn hier?«
»Das weiß ich nicht«, flüsterte Ellen. »Mir kommt sie vor, als hätte sie alles unter Kontrolle. Sie hat es sogar geschafft, daß die verstorbenen Heimbewohner auf unserem Friedhof beerdigt werden. Früher wurden sie in ihre Heimatorte überführt, aber das ist jetzt vorbei, kann ich Ihnen sagen.«
»Wenn man genügend Platz auf dem Friedhof hat, ist es doch nicht so schlimm.«
Ellen warf Lady Sarah einen schrägen Blick zu. »Meinen Sie?«
»Ja - oder nicht?«
»Ich weiß es nicht«, nuschelte sie und senkte den Kopf.
»Seien Sie ehrlich, Ellen, was stimmt hier nicht? Welche Probleme gibt es hier?«
»Wieso Probleme?«
»Das merke ich doch. Ich kann ihre Angst spüren. Haben Sie Angst? Fürchten Sie sich vor dieser Ash?«
»Das tun alle.«
»Und warum? Sie ist eine Frau, die ein Hotel leitet, denke ich mir.«
Da hatte Sarah etwas Falsches gesagt, und sie stellte es an Ellens Reaktion fest. Die Frau drehte sich ihr zu und fing an zu flüstern, während sie versuchte, Lady Sarah durch ihren Blick zu bannen. »Ja, sie leitet dieses luxuriöse Siechenheim, das stimmt schon. Ist alles richtig, tatsächlich aber ist das nur Tünche, um etwas anderes damit zu überdecken, Mrs. Goldwyn.«
»Jetzt haben Sie mich aber neugierig gemacht. Von welcher Tünche reden Sie. Und was meinen Sie mit der anderen Erklärung?«
»Belassen Sie es dabei. Tun Sie sich selbst den Gefallen, es ist besser so.« Sie schaute sich um wie eine Frau, die große Furcht davor hatte, daß sie gehört werden könnte. »Am besten für Sie ist es, wenn Sie morgen den Bus nehmen und wieder abreisen.«
»Das hatte ich auch vor. Aber erst nachdem ich meinen Freund Albert im Altenhotel gesprochen habe.«
»Vergessen Sie es.«
Lady Sarah ließ nicht locker. »Aber ich war schon oben.«
»Reicht das nicht?«
»Nein, denn man hat mich nicht zu ihm gelassen. Man sprach davon, daß er krank sei.«
»Dann wird er bald sterben!«
Die spontane Antwort der Frau trieb Lady Sarah das Blut ins Gesicht. Sie beschleunigte auch ihren Herzschlag, und die Horror-Oma hatte Mühe, ruhig zu bleiben.
»Wie können Sie so etwas behaupten?« fragte sie nur.
»Es ist die Regel.«
»Tatsächlich?«
»Viele sind gestorben. Zu viele. Mehr als früher. Deshalb haben sie ihre Toten ja auf unserem Friedhof begraben, aber es gibt Menschen, die behaupten, daß die Toten dort nicht bleiben. Der Platz gefällt ihnen nicht. Sie wollen ihn verlassen, sie wollen einfach nicht mehr in dieser klammen Erde oder in stockdunklen Särgen bleiben. Manchmal kommen sie zurück, und dann sehen sie schrecklich aus, denn der Geist nimmt die Gestalt an, die sie schon einmal als Lebende hatten, bevor sie auf schreckliche Art und Weise ums Leben kamen. Viele sind gefoltert worden. Man hat sie verbrannt, man hat sie regelrecht zerhackt, und man hat sie als Opfer gebracht…« Plötzlich schlug sich Ellen auf den Mund. So laut, daß es klatschte. Über die Hand hinweg
Weitere Kostenlose Bücher