1. Die Connor Boys: Komm ich zeig dir wie man liebt
Saxophon. Er schaltete nicht das Licht ein, denn das, was er vorhatte, konnte er im Dunkeln. Er hockte sich hin, löste die Schnallen des Koffers und holte sein Saxophon heraus. Gleich darauf hatte er das Mundstück aufgesetzt und den Halsgurt befestigt.
Als er aufstand, ruhte das Gewicht des Instruments zwischen seinen Beinen. Für ihn war es einmal wie ein Geliebte gewesen. Nur mit dem Saxophon hatte er ausdrücken können, was
ihn berührte, und herausgekommen war Blues. Dieses Instrument war wie geschaffen für Blues.
Viele Leute verbanden Blues mit Melancholie, und zu Recht. Es war die Musik der Sklaven gewesen, erschaffen zu einer Zeit, in der es ihnen verboten war, frei und offen zu reden. Mit ihr hatten sie einen Weg gefunden, alles, was sie bewegte, zum Ausdruck zu bringen. Ein Instrument eröffnete den Dialog, das andere antwortete. Der Blues gab die Sprache wieder, und das Frage-Antwort-Schema war eine Art, sich ohne Worte zu verständigen. Kummer, Freude, Liebe, Trauer, Schmerz und Glück, jedes Gefühl konnte damit ausgedrückt werden. Gordon war das Reden über Gefühle noch nie leicht gefallen, doch dem Saxophon konnte er all das anvertrauen, was er nie auszusprechen gewagt hätte. Er schloss die Augen, nahm das Mundstück zwischen die Lippen und wollte, dass seine alte Geliebte mit ihm redete.
Eine halbe Stunde lang versuchte er es. Und noch eine weitere halbe Stunde.
Aber nichts kam. Die richtigen Finger auf den richtigen Tasten, und die Schleusen hätten sich öffnen müssen. Es war nicht so, als hätte er nicht mehr spielen können. Technisch war alles perfekt. Jeder Ton klang gut und stimmte. Aber nur Töne und Akkorde miteina nder zu verbinden, reichte nicht aus, um Musik zu machen. Jedenfalls wurde es keine Musik, die etwas aussagte.
Als Kirstin ihm so nah gewesen war, hatte er etwas wahrgenommen. Oder zumindest hatte er das geglaubt. Klangfarbe und Vibration der Töne hatte er noch nie zuvor gehört. Den leisen, weichen Beat eines Liebesliedes. Die Akkorde waren rein, voll und stimmten wie nichts zuvor, was er kannte. In dem Schlafzimmer noch war die Musik so real gewesen.
Doch ohne Kirstin war nichts mehr da, und er konnte auch die Musik nicht zurückholen. Vielleicht hatte er sich das doch nur eingebildet.
Ärgerlich löste er den Nackengurt, nahm das Mundstück ab und legte das Saxophon in den Koffer zurück. Deutlich sah er in diesem Moment sinnliche Lippen und lockiges, rotbraunes Haar vor sich. Sie war so hingebungsvoll und viel zu ehrlich. Verdammt, der eine Kuss von ihr hatte ihm alles gesagt. Wer hätte gedacht, dass sich so viel Leidenschaft und Feuer unter ihrem einfachen Äußeren verbarg? Sie konnte einen Mann glauben machen, er würde ge braucht und wäre etwas Besonderes für sie.
Halt dich von ihr fern, sagte ihm die Stimme seines Gewissens.
Trübsinnig starrte Gordon aus dem Fenster in die schwarze Nacht hinaus. Er wusste nur zu gut, warum er sie hatte gewähren lassen. Es war wie Balsam für seine Seele, dass sie ihn für einen guten Kerl hielt, den es sich lohnte, näher kennen zu lernen. Jeder Mann, der an sich zweifelte, musste sich unweigerlich zu ihr hingezogen fühlen. Aber es würde nicht viel erfordern, diesen sanften, vertrauensseligen Ausdruck in ihren Augen auszulöschen. Die Wahrheit würde das schon schaffen. Sie würde niemals einen Mann begreifen, der verantwortungslos ein Kind in die Welt setzte.
Er selbst konnte es nicht einmal begreifen und suchte jetzt nach einer Lösung, um mit dieser Schuld auf seinem Gewissen leben zu können. Dagegen war die Lösung des Problems, das Kirstin für ihn darstellte, weitaus einfacher. Es würde keine Küsse und keine Umarmungen mehr geben. Von jetzt ab würde er sich hüten, in ihre Reichweite zu kommen.
Voller Erwartung bog Kirstin in Gordons Einfahrt ein. Sie war zwei Stunden zu früh, aber sie hielt es für vernünftiger, heute einmal eher zu kommen. Gordon hatte bestimmt nichts dagegen, denn der Himmel war bereits dick verhangen mit dunklen Wolken, und für heute Abend war ein Schneesturm angesagt. Ehe sie einge schneit wäre, wollte sie ihre Arbeit getan haben und zu Hause sein, besonders weil sie Mellie bei sich hatte.
„Also, mein Schatz." Kirstin hielt an und stellte den Motor ab. Dann beugte sie sich zu Mellie hinüber und löste ihr den Anschnallgurt. „Denk dran, was ich dir gesagt habe, ja?"
„Klar. Ich werde so still sein wie eine Maus. Mr. Connor weiß, dass ich manchmal mitkomme, aber wir
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