1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast): Wie ich es trotzdem geschafft habe
erschien Madame in Begleitung eines Herrn mittleren Alters, auf Hochglanz rasierte Wangen, dunkler Anzug, schmale Aktentasche, die unruhigen Augen scannten sofort das gesamte Büro. Aber was war mit Madame España los? Sie stand besonders aufrecht, ihre Haare waren noch straffer als sonst zusammengebunden, sie knetete ihre Hände, gestattete sich keine Gestik, geschweige denn Mimik. Der Herr redete leise mit ihr, ich meinte, Spanisch zu hören. Sie nickte, immer eine Spur zu eifrig, zu schnell. Dann wandte sie sich an uns. »Hört mal, das ist Herr Galen, er kommt uns aus Hongkong besuchen, er freut sich, was für ein tolles Büro wir haben!« Wir drehten uns auf unseren Stühlen zu den beiden um, dabei krachten die Rücklehnen aneinander, mein Rocksaum wurde zwischen meiner Sitzfläche und der meines Nachbarn eingeklemmt.
Es folgte eine Rede auf Englisch, der Herr betonte unsere fabelhaften Arbeitsbedingungen, die Kollegen in Hongkong säßen zu zwanzig Leuten im Keller des Luxushotels, dabei sei der Raum kleiner als unserer, zudem tropfte es ab und an durch die Decke. Aber sie würden große, er betone, große Erfolge erzielen. Der Umsatz sei Maßstab für alle international operierenden Teams, ob uns das klar sei? Wir wüssten ja gar nicht, wie gut wir es hätten. Madame nickte dazu und strahlte uns mit ihrem gefriergetrockneten Lächeln an. Sie stand wirklich sehr, sehr gerade da. Was wir für eine Quote bringen würden, fragte der Unbekannte. Die Antwort begeisterte ihn nicht besonders. Er nickte uns kurz zu und verschwand, Madame stakte hinterher. Mich beschäftigte die Frage, warum sie denn in Hongkong die Decke nicht einfach abdichteten.
Zwei Minuten später schoss sie wieder zu uns hinauf, zwang uns, die Hörer aufzulegen und beschimpfte uns. Wir hätten sie in große Schwierigkeiten bei ihrem Teamleiter (aha) gebracht. Er sei sehr unzufrieden mit unserem Ergebnis gewesen, wenn wir jetzt nicht das Team XY in London überholen würden, bekämen wir alle, auch sie, Boni-Abzug, und das wollten wir ja sicherlich nicht? Wir fühlten uns davon getroffen (welch Irrsinn!), und jede Menge Schuldgefühle waberten durch den Raum. Wir seien ein jämmerlicher Haufen. Wir sollten uns schämen. – Was macht Madame España eigentlich nach Feierabend, fragte ich mich.
Wir bekamen am nächsten Tag ein Motivationsprogramm aufgebrummt: Jeder Anruf (es wurde stichprobenartig mitgehört), bei dem drei Ja des Kunden aufeinanderfolgten, wurde mit einem Mini-Täfelchen Schokolade belohnt. Als Madame mir eines dezent neben den Telefonapparat legte, spürte ich nur eins: Wut. Diese ignorante Trine legte mir ein Schoko-Täfelchen neben den Hörer, damit ich besser arbeiten sollte. Ich war um 5 Uhr 30 aufgestanden, hatte die Kinder fertig gemacht, eins in den Kindergarten, eins in die Vorschule, zwei zur Schule gebracht, eingekauft, Essen vorgekocht und war dann nach Berlin gerast, um mir Schokolade zu verdienen.
Ich hielt es insgesamt vierzehn Tage aus. Nach der ersten Arbeitswoche fing ich an, vom spanischen Todeshauch zu träumen, der einem in den Nacken blies, wenn man die Quote nicht erreichte. Nach dem zehnten Arbeitstag bekam ich Bauchschmerzen, wenn ich den Eingang des Gebäudes nur von weitem sah. Am Ende der zweiten Woche zählte ich durch, was ich bis dahin verdient hatte – ich rechnete mir dreihundertfünfundzwanzig Euro für die zwei Wochen aus. Ich schmiss sofort hin. Madame España zog mich beiseite und versuchte es mit Aggression. Ich blieb eisern. Sie ließ mich an Ort und Stelle einen Aufhebungsvertrag unterzeichnen und schickte mich schnell fort, damit die anderen nichts mitbekämen. Das Geld würde mir in acht Wochen überwiesen. (Es war dann weniger, als ich dachte, aber wie froh war ich, dort heile weggekommen zu sein!) Das Letzte, was ich von ihr sah, war ihr schwarzer Anzugrücken. Inzwischen hatte sich ein Teil des Saumes gelöst.
Ich fuhr nach Hause, es war erst 10 Uhr, ich hatte Zeit, mein aufgewühltes Inneres zu sortieren, bevor ich die Kinder abholen musste. Ich kochte mir einen Tee, setzte mich ans Fenster und starrte nach draußen in den Himmel. Durch die Wand konnte ich hören, wie André (vier Firmen, drei davon insolvent) im Arbeitszimmer mit irgendwelchen Leuten telefonierte und dabei mit Millionenbeträgen hin und her zu jonglieren schien. Aus den Gesprächsfetzen meinte ich Begriffe wie Nummernkonto, Millionenprojekt, Hongkong und Zürich herauszuhören. Vielleicht sollte er mit Madame
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