1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast): Wie ich es trotzdem geschafft habe
Mailand mitnahm. Diese Reise hatte ihr ihr Mann zum Geburtstag geschenkt, und mich nahm sie mit – wohl wissend, dass es sicherlich lustigere Begleiterinnen gegeben hätte als eine erschöpfte, frustrierte Freundin, die in Gedanken doch nur die ganze Zeit bei ihren Kindern war.
»Du brauchst das jetzt, Petra!«, hatte sie bestimmt, nicht lange gefackelt und die Flüge gebucht.
Renate brachte mich auch auf die Idee, Stücke meiner eigenen Kleidersammlung zu verkaufen, um ein kleines Zubrot zu haben. Hinzu kam noch das ein oder andere Teil von Freundinnen, die qualitätsvolle Anzüge, Kleider, Schuhe abzugeben hatten. Ich sammelte, und Renate verkaufte für mich. Sie hatte häufiger im Zentrum von Berlin zu tun, wo es mehrere Edel-Secondhand-Boutiquen gab. Übergabe der Kleidung war stets der Parkplatz vor der Schule. Unser Begrüßungsritual:
»Hast du Ware dabei?«
»Ja, wie viel hast du umsetzen können?«
»Ganz ordentlich. Ich soll nächste Woche neuen Stoff an den Ku’damm bringen.«
Dann wanderten mehrere Säcke in Renates Kofferraum und einige Scheinchen in mein Portemonnaie. Was ich nicht wusste, war, welche Behandlung Renate für mich in den Boutiquen am Ku’damm stillschweigend und klaglos erduldete. Später, als mein Texter-Büro erfolgreich angelaufen war, hat sie mir berichtet, dass es immer nach dem gleichen Muster ablief: Sie brachte Ware hin, wurde anfangs links liegengelassen, bis die Besitzerin des Ladens sie aufforderte, die Sachen sorgfältig auf einem Tisch auszubreiten. Dabei verzog die Ladenbesitzerin oft angewidert das Gesicht oder verdrehte die Augen genervt nach oben – ein Habitus, der allen Ladenbesitzerinnen gemein war. Anschließend wurden die Sachen von ihr mit spitzen Fingern hochgehoben, die langen Gel-Nägel kratzten prüfend über die Stoffe, dann wurden die Stücke wieder verächtlich fallen gelassen. Ab und zu zog sie ein Jackett kurz über, um sich über zu kurze oder zu lange Ärmel zu mokieren – kurz: Das Ganze war eine Art Show, um die eingelieferte Ware schlechtzumachen. Renate blieb immer ganz ruhig und sagte nichts.
»Und für dieses Zeug soll ich Ihnen noch was geben?« – Renate meinte, das sei einer der drei beliebtesten Sätze gewesen. Die anderen beiden: »Das kauft mir kein Mensch ab.« Und: »Aus welchem Altkleidercontainer haben Sie das denn geholt?« Renate wartete geduldig ab. Je ruhiger sie war – auch das hatte die Erfahrung nach einigen Malen gezeigt –, desto höher fiel der angebotene Preis aus. Und Renate akzeptierte immer sofort, denn zu oft hatte sie bei Frauen beobachtet, die vor ihr das Ritual durchlaufen mussten, dass diese zu feilschen anfingen und die Laune der Boutique-Lady endgültig verdarben.
Dass Renate für mich diese Umstände in Kauf nahm, hat mich sehr gerührt. Dazu meinte sie bloß, dass sie sich in diesen Momenten vollkommen in meine Gemengelage hineinversetzen könne und am eigenen Leib erfahre, wie einem als Bittsteller zumute sei. Und das täte auch mal ganz gut, dadurch gewinne man eine andere innere Haltung zu den Dingen. Man könne ein wenig Demut lernen, eine Eigenschaft, die der liebe Gott ganz gewiss schätze. Und der sähe eben alles.
Mama, später will ich nur Töchter haben.
Findest du deine Brüder soo schlimm?
Nein, aber wenn ich nur Mädchen habe, kostet das weniger.
???
Dann brauche ich alle Klamotten nur ein einziges Mal kaufen, und dann kann die Nächste immer alles erben. Ich muss nur aufpassen, dass alle dieselben Haare und Augenfarbe haben, damit die Sachen allen gleich gut stehen.
Die Grenzen der Contenance
A usnahmezustände provozieren Ausnahmereaktionen. Meine magische Formel jedoch lautete: Contenance. Mit dieser Haltung hatten die starken Frauen in meiner Sippe mütterlicherseits zehnköpfige Familien durch den Krieg gebracht, Hunger, Flucht und Verluste verkraftet, und dabei ein winziges Eckchen Humor wie ein kostbares Kronjuwel gehütet. Contenance – für mich galt das tagtäglich, ich riss mich zusammen –, aber Contenance galt längst nicht für die anderen, zum Beispiel für die Gläubiger.
Die Vokabel »Gläubiger« war bisher kaum in meinem aktiven Wortschatz aufgetaucht, wozu auch. Für die so abrupt um ihr Geld Gebrachten bildete ich als Ehefrau eine Personalunion mit André, auch wenn dies juristisch nicht für alle Fälle zutraf (Gott sei Dank!). Als Gläubiger nimmt man sich gewiss nicht die Zeit für feine Unterscheidungen, und so wurde ich ebenso wie mein
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