1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast): Wie ich es trotzdem geschafft habe
nehmen. Wo hätten wir sonst auch bleiben sollen?
Nun begann wieder eine gänzlich andere Zeit für uns fünf. In meiner Sippe hatten stets die Männer für Einkünfte und Absicherung der von ihnen Abhängigen gesorgt, während die Mütter für die fidelen Kinderscharen und Haus und Hof verantwortlich waren. Auf diese überholte Form der Arbeitsteilung würde ich mich heute nie mehr einlassen und sie auch ganz bestimmt weder meinen Töchtern noch meinen Söhnen empfehlen. Dennoch ging ich damals naiv von der Annahme aus (die aus einer Zeit mit anderen gesellschaftlichen Voraussetzungen stammte), dass mein Mann niemals aus den Verpflichtungen dieser generationsübergreifenden Männerreihe ausscheren würde. Ich wurde mit einem glockenhellen Schlag in einen vollkommen schrägen Überlebenskampf inmitten der ignoranten Welt der Westberliner Bürgerschicht katapultiert.
Mein Mantra wechselte ich sofort aus. Statt »Stand by your man« hieß es jetzt: »Es gibt Schlimmeres«.
»Kinder, es wird sich einiges ändern. Wir haben jetzt viel, viel weniger Geld als früher. Wir müssen überall sparen. Ich suche mir eine gute Arbeit, damit ich uns fünf ernähren kann. Bis dahin müssen wir versuchen, so wenig Geld auszugeben wie möglich.«
»Können wir weiter auf unsere alte Schule gehen?«
»Werde ich jetzt Abendkind im Kindergarten?«
»Krieg ich trotzdem neue Fußballschuhe?«
»Musst du betteln gehen?«
»Warum gehst du nicht zum Theater, du kannst doch so viele Gedichte auswendig aufsagen, Mama.«
»Dürfen wir das unseren Freunden erzählen, dass wir jetzt arm sind?«
»Halt!«, griff ich ein. »Erstens. Wir sind nicht arm. Wir haben genug zu essen und ein Dach über dem Kopf. Anderen geht es viel schlechter als uns. Zweitens. Wir wohnen zwar nicht mehr in unserem Haus, aber eure Schule und dein Kindergarten, Millie, bleiben. Drittens. Wir kaufen nichts mehr, auch keine Fußballschuhe, Till. Wir müssen versuchen, mit ganz wenig Geld auszukommen. Viertens. Ich habe bestimmt bald einen guten Job, und dann ist dieses Wirrwarr vorbei.«
Als fünfköpfige Eingreiftruppe managten wir in den nächsten Monaten unsere Lage vorbildlich, was Punkt eins bis drei betraf. Mit der auch bei größter Hartnäckigkeit und Erfindungsreichtum nicht zu nehmenden Job-Hürde hatte ich allerdings überhaupt nicht gerechnet.
Und mit der gesellschaftlichen Ächtung auch nicht.
Die Gesellschaft kennt keine Gnade, wenn hübsche Bilder, in denen sich alle selbst widergespiegelt sehen wollen, mir nichts, dir nichts zerstört werden. Da ist plötzlich diese Vorzeigefamilie kaputt. Das darf nicht sein. Um den Verlust der Projektionsfläche zu verkraften, muss ein Schuldiger her. Wenn sich eine Frau mit vier Kindern von ihrem Ehemann absetzt, ist der Sachverhalt ganz klar: Die hat einen Neuen. Als sich der geheimnisvolle Neue über viele Wochen allerdings nirgends blicken ließ und auch die unschuldigen Kinderchen in der Schule keine Auskunft über Mamis Liebhaber liefern konnten, dämmerte es dem elterlichen Zirkel rund um die Schule und Nachbarschaft: Die hat keinen Neuen, nein, die hat sich getrennt, weil sie sich selbstverwirklichen will. Auf Kosten der Kinder. Und natürlich auf Kosten des nun auch noch finanziell strauchelnden Ehemannes.
Diese Rolle gefiel mir zwar nicht, aber ich konnte nichts dagegen tun. Wo anfangs noch die Neugier und Lust auf eine Sensation einen gewissen Kontakt des Umfeldes zu mir garantiert hatten, machten sich nun Distanz und Abstrafung breit. Wenn es zu Dialogen kam, liefen sie immer nach einem bestimmten Schema ab. Auf die höfliche Frage, wie es mir ginge, antwortete ich neutral mit »Danke, gut«. Dann gab es sofort eine spitze Bemerkung, und der/die Fragende entfernte sich eilig. Antwortete ich jedoch mit »Ach, es ist alles ganz furchtbar, und ich weiß nicht mehr weiter«, huschte stets eine kleine Freude über das Gesicht des/der Fragenden, und das führte sofort zu einer weiteren Frage: »Wo sind Sie denn jetzt untergekommen?« oder »So ganz ohne Auto ist das sicher schwierig jetzt?« oder »Die Kinder leiden bestimmt sehr darunter?«
Je unglücklicher meine Antwort ausfiel, desto zufriedener waren die Leute. Ich lernte viel in dieser Zeit. Unter anderem, wie leicht man andere glücklich machen kann.
Aber nicht nur ich vereinsamte zusehends, auch die Kinder, allen voran die Mädchen, die Probleme hatten, ihre Freundschaften aufrechtzuerhalten. Kleine Freundinnen von Millie hatten auf einmal
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