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1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast): Wie ich es trotzdem geschafft habe

1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast): Wie ich es trotzdem geschafft habe

Titel: 1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast): Wie ich es trotzdem geschafft habe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra van Laak
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drängten enttäuscht wieder nach hinten. Eine Brünette rief entrüstet: »Gibt’s denn wenigstens was zu trinken, jetzt, wo wir wieder eine Stunde warten müssen?!«
    Der junge Mitarbeiter hatte es sehr eilig, er zog an unserer unschlüssig im Flur stehenden Gruppe im Stechschritt vorbei, ein kurzes »Folgen bitte«, und dann ging es unzählige Korridore entlang. Die Dicken waren klar im Nachteil, aber auch andere konnten nicht mühelos folgen. Das Ballkleid-Mädchen knickte auf seinen Absätzen um, eine Dame um die fünfzig zog einen Rollkoffer hinter sich her, der auf dem hochflorigen Teppich nicht richtig lief, ein junges Pärchen trug im Laufen einen Disput aus, und ein älterer Mann in einer hellbraunen Jacke aus falschem Leder zog sein steifes Bein nach. Dennoch waren seine Gesichtszüge entspannt, er schien der Einzige zu sein, an dem die Hektik des Ortes abprallte. Warum war er wohl hier?
    Unser Aufpasser stieß die Flügeltüren zu einem weiteren großen Raum auf, in den strömten wir hinein. An den Wänden entlang waren Stühle gestellt, auf die wir uns setzen sollten, sonst war der Raum leer. In der Mitte war mit Klebeband ein großes Rechteck auf dem Boden markiert.
    Eine kleine, ältere Dame stand am Kopfende des Raumes und beobachtete uns konzentriert. Neben ihr standen zwei junge Assistentinnen mit Schreibblock und Stift. Der junge Mann war bereits wieder verschwunden.
    Kaum saßen wir alle, trat die ältere Dame in die Mitte des Raumes. Ihre kurzen, dunklen Haare waren zu einer würdevollen Frisur geföhnt, sie trug auffälligen Rotgoldschmuck, ihr knielanges, dunkelbraunes Etuikleid umschmeichelte ihre Tönnchen-Figur, dazu trug sie hautfarbene Seidenstrümpfe und hochhackige Pumps. Sie hatte die Haltung einer Tänzerin, ihre rechte Hand ruhte auf ihrer Hüfte, oder zumindest dort, wo eine sein sollte, und sie wippte leicht im Ausstellschritt nach vorn und hinten. Sie hatte eine einmalige Bühnenpräsenz, wir waren alle sofort still, und es wird keiner in dem Raum gewesen sein, der nicht beeindruckt war. War sie eine Diva? Eine Primaballerina? War sie eine gefallene Aktrice? Dann begann sie zu sprechen – mit einer tiefen Stimme, der Essenz unzähliger Whiskeys, Zigaretten, Liebhaber, Freuden und Schicksalsschläge. Ihr Ton war unglaublich autoritär.
    »Meine Damen, meine Herren. Sie sehen hier auf dem Boden ein Rechteck vor sich. Das ist der Bus, in den Sie gleich alle einsteigen werden. Hier vorne, sehen Sie, ist der Eingang markiert. Sie werden zur Beerdigung Ihres Freundes oder Bekannten oder Arbeitskollegen fahren. Wir möchten, dass Sie das spielen.« – Wie sollten wir alle in das Rechteck hineinpassen? Wir würden dort eingepfercht stehen wie Tiere im Viehtransport.
    »Meine Damen, meine Herren, diese Aufgabe geht auf einen großen amerikanischen Regisseur und Schauspiellehrer zurück. Fangen wir an. Und bitte beachten Sie, wer die Linie des Busses übertritt, ist sofort draußen.«
    Wir standen auf, die Ersten stiegen schweigend in den Bus. Die Dame und ihre beiden Assistentinnen machten sich bereits Notizen. Ich stieg ein, grüßte den Busfahrer laut und deutlich (nach mir taten es dann alle so), murmelte dann ein »Ist das alles schrecklich« und arbeitete mich zum Heck des Busses vor. Dort hielt ich mich an einer imaginierten Halteschlaufe fest, das Blut lief mir schnell aus dem Arm. Es wurde so eng, dass man die Luft anhielt. Die meisten von uns schielten verkrampft nach den Markierungen auf dem Boden.
    »Der Bus fährt los!«, rief die Dame. Sofort fingen alle an zu reden. Ich ließ mich von der Fahrt hin und her rütteln, auch andere hatten Halteschlaufen gegriffen, eine Frau sprach mich von der Seite an: »Ist das nicht furchtbar?« Ich stimmte ihr sofort zu. Fast alle heulten und drückten sich Taschentücher ins Gesicht. Also heulte ich nicht. Ich wollte versuchen, die Weinende neben mir in ein Streitgespräch zu verwickeln, sie guckte mich verwirrt an und wusste nicht, was sie sagen sollte. Der Mann mit dem steifen Bein stand neben mir und grinste.
    Währenddessen umkreisten die drei Frauen lautlos das Rechteck und schrieben auf ihre Blöcke. Ab und zu holten sie Leute aus dem Bus heraus, danke schön, Sie können gehen, vielleicht klappt es ein anderes Mal. Das schöne Ballkleid-Mädchen war eines der Ersten, sie schaute völlig verdattert, als sie herausgebeten wurde. Sie verließ schluchzend den Raum. – Wir spielten weiter, die Emotionen steigerten sich, es war, als

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