1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast): Wie ich es trotzdem geschafft habe
Schrank hat.
Ich lief in den milden Abend hinaus, erreichte gerade noch den Bus zur Friedrichstraße. Als wir Unter den Linden passierten, nahm ich für einen kurzen Moment einen Fußgänger rechts von mir wahr. Er trug seine braune Jacke über dem Arm, er hatte etwas von einem lässigen Flaneur, dabei zog er ein Bein nach.
Kurze Zeit später bekam ich einen Anruf. Sie bräuchten mich für die Rolle einer Mutter bei irgend so einer Pseudo-Realityshow, ich kenne das Format ja sicherlich. Ich hatte noch nie zuvor davon gehört.
Ob ich Zeit habe, die Aufzeichnung sei schon in zehn Tagen. Sie zahlten dreihundertfünfzig Euro, inklusive Bahnticket hin und zurück. Ich sagte zu.
Vorab bekam ich Post von der Produktionsfirma. Dort war ein grober Ablauf der Sendung skizziert. Die Serie wird nachmittags ausgestrahlt und erreicht sehr hohe Einschaltquoten. Ich sollte mich später noch wundern, wer sich alles als Fan dieser Show outen würde. Das Skript sah vor, dass ich meine Nichte verdächtigte, meine beiden Kinder verängstigt zu haben, während ich mit meinem Mann einen Abend im Kino verbrachte. Eine Barbiepuppe sollte eine tragende Rolle spielen, meine durchtriebene Nichte sollte erst spät mit der unangenehmen Wahrheit herausrücken.
Das kurze Drehbuch enthielt außerdem Hinweise zur Kleidung und zum Verhalten vor der Kamera. Keine auffälligen Muster, und bitte so natürlich wie möglich agieren. Vor Ort würde uns alles noch einmal genau erläutert.
Meine Kinder hatte ich auf Schwester und Freundin verteilt, und die mehrstündige Zugfahrt in aller Früh hatte für mich fast etwas von einem fröhlichen Ausflug an sich.
Am Bahnhof wurde ich von einem Fahrer abgeholt, der das Schild »TV Production« hochhielt. Er hielt mir die Wagentür auf, ich fühlte mich wie eine Diva.
Er arbeite schon, seit er fahren könne, für den Film, erzählte er ungefragt, habe alle großen Schauspieler kutschiert, damals sei das alles noch was gewesen.
»Heute suchen sie sich die Leute auf der Straße zusammen.«
Mein Diva-Gefühl war sofort weg.
Unterwegs hielten wir an, um Dana, meine Film-Nichte, zusteigen zu lassen. Sie sah perfekt aus, eine braune Mähne umrahmte ihr Kindfrau-Gesicht, die langen, nackten Beine hörten irgendwo unter dem handtellerbreiten Rock auf, ihr Oberteil saß eng und leuchtete in sattem Rot. Unser Fahrer schien überrascht, was sich alles so von der Straße auflesen lässt.
Dana war sehr schüchtern, sie war erst fünfzehn, verdiente sich mit solchen Auftritten Geld dazu, ihre Familie war vor zehn Jahren aus Russland nach Deutschland gekommen. Beide Eltern Regimekritiker und Akademiker, deren Abschlüsse hier nicht anerkannt wurden, so dass sie arbeitslos zu Hause ausharren mussten, während Dana als einzige Tochter eine Bilderbuchkarriere in der Schule hinlegte, um es später einmal besser zu haben. Nebenbei jobbte sie unter anderem auch als Cheerleader bei einer Football-Mannschaft, darauf war sie besonders stolz, für sie war es das Äquivalent zur Aufnahme an einer Broadway-Tanzshow. (Unser Fahrer lauschte angestrengt.) Sie habe nicht nur die richtige Figur dazu, sondern sei aus hundert Konkurrentinnen ausgewählt worden, weil sie die sportliche Kondition und tänzerische Grazie mitbringen würde. Nur ihre Eltern, die seien nicht so begeistert davon. Weil es aber ein wenig Geld einbringe, würden sie sie widerwillig lassen. Mir war klar, dass sich hieraus ein weiteres Realityshow-Skript stricken ließe.
Dana war wie ich das erste Mal bei diesem Filmformat dabei, sie hatte ein anderes Skript als ich, das auf ihre Rolle zugeschnitten war. Sie dürfe mir nichts weiter verraten, sagte sie.
In einem Industriegebiet weit außerhalb des Zentrums stiegen wir aus, vor uns flache Hallenbauten, an der Stirnseite der ersten barackenähnlichen Halle waren flatternde Zettel provisorisch befestigt, »Eingang Produktion«. Dana und ich betraten den Flachbau, die Plastiktür im Metallimitat fiel hinter uns zu und machte ein Geräusch, als sei sie aus Pappe. Und schon standen wir mitten im hektischen Trubel. Junge Männer mit wichtigen Gesichtern sprachen fortwährend in Walkie-Talkies, grell geschminkte Frauen stiegen vorsichtig über den sich wellenden Nadelfilz am Boden, Leute mit Klemmbrettern und Knopf im Ohr brachten kleine Gruppen von Mitwirkenden zu verschiedenen Türen.
Dana und ich wurden von einem der Aufnahmeleiter angesprochen, hier geht’s zur Anmeldung, dritte Tür rechts. In einem provisorisch
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