1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast): Wie ich es trotzdem geschafft habe
Gerichtsshow. Produziert werden sollte sehr kurzfristig. Ich solle mich hier und jetzt am Telefon entscheiden.
Ich überlegte schnell. – Nur wenn ich fliegen kann. – Wie bitte?! Ein Flugticket? – Der Redakteur drehte sich vom Hörer weg. – Sie will eingeflogen werden. Ja. Können wir das machen? – Gelächter, gehässiges, im Hintergrund. No way. – Nee, das geht nicht. Also was ist jetzt, kommen Sie? – Ich rechnete aus: zehn Stunden Zugfahrt, mindestens fünf Stunden vor Ort, Honorar dreihundertfünfzig Euro – nein, nicht noch mal. Ich hatte mein Nein kaum ausgesprochen, da hieß es schon: »Sie müssen aber damit rechnen, dass wir Sie nicht mehr anfragen werden.«
Es gibt Schlimmeres, als solchen Shows fernbleiben zu müssen. Glauben Sie mir.
Mama, Nadine hat gesagt, wir sind aso.
Wieso das denn?
Weil wir Kinder alle in einem Zimmer schlafen und weil wir keinen Fernseher haben.
Soso. Findest du das denn auch aso?
Nee, ich find aso, dass die Katze von den Nachbarn vor unsere Wohnungstür pisst.
Eine Frage der Priorität
N atürlich ist es in Ordnung, wenn jemand sein Haustier liebt. Aber deshalb muss derjenige nicht gleich Nachbars Kinder hassen.
Das Schlimme an unserer neuen Bleibe war nicht, dass sie klein, schäbig und klamm war. Damit konnten wir alle, die Kinder und ich, sehr gut leben, wenn auch der Kontrast zur Villa am See absurd bis abenteuerlich war. Was uns alle jedoch gleichermaßen verstörte, waren die Mitmieter im Haus in der obersten Etage, die von Anfang an klarstellten, dass Kinder an diesem Ort nicht erwünscht seien. Das Ehepaar aus der obersten Etage kann nicht älter als fünfzig gewesen sein. Die Kinder beharrten jedoch darauf, dass die beiden mindestens achtzig Jahre alt seien, das sehe man an den Klamotten, an der komischen Dauerwelle der Frau und an ihrer grauen Haarfarbe mit einem Stich ins Lila. Außerdem guckten die beiden die Kinder so feindselig an, und das täten nur Leute, die uralt seien und endlich ihre Ruhe haben wollten.
Die Etage zwischen unserem lebendigen Haufen und den älteren Eheleuten wurde von Anja und Jörg, einem netten jungen Paar, bewohnt, das sich offensichtlich vor Jahren achselzuckend in Apathie zurückgezogen hatte, um die seltsamen Bewohner über sich ertragen zu können.
Am Tag nach unserem Einzug kam die erste Beschwerde von ganz oben. Ob ich wisse, wie man eine Tür leise schließt. Nein? Doch? Dann solle ich das bittschön auch meinen Kindern beibringen. Ich überhörte den aggressiv-suggestiven Ton, in dem ich im Hausflur angesprochen wurde, und gelobte freundlich Besserung.
Dann schärfte ich den Kindern neue Verhaltensregeln ein. Vier ernste und erstaunte Augenpaare waren auf mich gerichtet, als ich ihnen die neue Freundlichkeitsoffensive erklärte.
»Ihr grüßt immer, wenn ihr die beiden seht. Ihr lasst ihnen den Vortritt an der Haustür. Ihr geht leise durchs Treppenhaus. Ihr schließt immer die Haustür hinter euch. Ihr rollt die Mülltonnen auf das Grundstück zurück, wenn sie geleert wurden, auch wenn wir laut Plan nicht zuständig sind. Ihr schreit im Garten nicht so laut herum.«
Es freute mich, dass die Kinder in den nächsten Wochen ständig darum bemüht waren, die neuen Regeln einzuhalten. Gleichzeitig machte es mich traurig, weil in meiner Erinnerung immer wieder das Bild hochkam, wie die vier ausgelassen durch den Naturgarten unseres Jugendstilhauses am See tollten, die Treppen hinaufstürmten, hungrig, schmutzig, lachend, zack, die Tür ins Schloss fallen ließen und atemlos nach Wasser, Obst, Keksen fragten. Dann wieder kichernd und hüpfend nach draußen liefen, einander jagten, im Sommer kreischend unter dem Rasensprenger Rad schlugen. Auch Geheule gehörte dazu, aufgeschlagene Knie, verlorene Rennen mit den Bobbycars, Erdbeeren, die einer dem anderen weggeschnappt hatte. Aber es war eine glückliche Zeit für die Kinder gewesen, und lange, lange noch fragten sie, ob wir denn nicht wieder dorthin zurückkönnten. Das Haus und der Garten waren für die Sprösslinge Symbol für eine heile Kinder- und Familienwelt gewesen – was sich an Dramen hinter der Haus- und Ehefassade abgespielt hatte, hatten sie, so hoffte ich, kaum mitbekommen.
Mit den neuen Nachbarn konnte es nicht lange gutgehen. Es waren jedoch die Kinder, die mich nach drei Wochen zur Rede stellten. Ob es denn für die Nachbarn da oben auch Regeln gäbe? Und was das für welche seien? – Das Paar pflegte nie unseren Gruß zu erwidern,
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