1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast): Wie ich es trotzdem geschafft habe
zu rufen, was ich mittlerweile achselzuckend zur Kenntnis nahm. Die Kinder hingegen betrachteten das Paar mit fast volkskundlerischem Interesse. Was waren das für Leute, die ihren Kater innig liebten und Kinder grundsätzlich hassten? Und warum überfütterten sie das Tier, so dass es sich nur langsam von einer Treppenstufe zur nächsten schleppen konnte?
Doch dann kam alles anders. Die Nachbarn fuhren übers Wochenende weg, die Futterschüsseln waren besonders üppig gefüllt, die Fliegenschwärme daher im Treppenhaus gut vertreten, auch eine kleine Pfütze hatte der Kater zum Abschied von Herrchen und Frauchen bereits abgesetzt. Ich klopfte gerade bei Anja, um ein Pfund Mehl zu leihen, als der Kater um meine Beine strich. Anja öffnete die Tür, sah mich kurz mit einem komischen Blick an und beugte sich dann langsam runter, ihr Mund zu einem schiefen Lächeln verzogen.
»Miez, miez, miez, miez …«, rief sie in zuckersüßem Ton, »komm, mein kleines, süßes Katerchen, komm zu Tante Anja.«
Der Kater fing an zu schnurren und stupste mit seinem unförmigen Kopf an ihr Knie. Ich schlüpfte in Anjas Wohnungsflur und fing nun auch an zu zirpen:
»Komm, du süßer, kleiner Kater, komm zu Mutti.«
Das Tier schleppte seinen fetten Körper über die Türschwelle in den Flur – peng, Anja, knallte die Tür zu. Nun ging alles ganz schnell.
»Jörg, du holst deine Sporttasche, los!«
Anjas Mann stierte auf das Tier, dann auf seine Freundin.
»Aber ihr könnt doch nicht …«
Doch. Konnten wir. Anja hielt die große Tasche auf und gurrte und lockte und säuselte so lange, bis sich das Tier genüsslich in der Tasche niederließ und uns alle erwartungsvoll anguckte. In dem Sonnenstrahl, der quer durch den Flur fiel, tanzten die grauen Katzenhaare. Ich konnte fühlen, wie meine Bronchien revoltierten (Katzenallergie). Ratsch! Reißverschluss zu und das Tier saß in der dunklen Falle. Jörgs moralische Bedenken bereiteten ihm geradezu körperliche Schmerzen. Anja wickelte alles kurzerhand mit mir alleine ab. Ab und an tönte ein kleines Miau aus der Sporttasche. Anja erkundigte sich nach einem Tierheim, das so weit wie möglich vom Fundort entfernt lag, dann befahl sie dem jammernden Jörg, das Auto zu holen. Gemeinsam verließen sie die Wohnung, zur Tarnung mit umgehängten Handtüchern, einer weiteren Sporttasche und lautem Lachen, um das Miau zu übertönen. Das war das Letzte, was ich von dem Kater sah und hörte.
Abends erzählten die beiden mir, sie seien im Tierheim nach dem genauen Fundort gefragt worden, da hätten sie gleich einen anderen Bezirk genannt. Dann sollten ihre Personalien aufgenommen werden, die beiden behaupteten, sie haben leider ihre Ausweise vergessen. So war schließlich alles geregelt, nur ganz am Schluss, da habe die Tierärztin gesagt: »Na, nicht so schlimm, wenn wir so wenig Angaben von Ihnen haben. Heutzutage haben die Haustiere ja alle einen Chip unter der Haut. Das erleichtert uns die Suche. Wir scannen den lieben Kater mal.«
Der große starke Jörg habe gezittert, sagte Anja lachend, aber das Gerät hatte nichts angezeigt.
Die Katzenbesitzer kamen von ihrer kleinen Reise zurück, und wir alle gingen ihnen tunlichst aus dem Weg. Die letzten Spätsommertage wurden ziemlich ruhig. Kein Mauzen mehr, keine Pfützen, keine Fliegen. Nur ab und an hörte man draußen leise Rufe: »Miez, miez, miez, wo steckst du nur?! Komm zu Frauchen …« Später kamen Zettel an den Bäumen hinzu, die die Jüngste vorbuchstabierte – was, Mama, die suchen ihren Kater? Ist der jetzt immer weg?
Der Herbstwind rupfte die ausgeblichenen Zettel irgendwann von den Bäumen, und Jonas sagte beim Kakaotrinken in unserer Küche: »Eigentlich tun die mir nicht leid, dass denen der Kater weggelaufen ist. Bei denen hätte ich es als Kater auch nicht lange ausgehalten.«
Zwei Jahre später, die Kinder und ich waren schon längst ausgezogen, hatten die Nachbarn neue Prioritäten gesetzt.
»Jetzt haben sie zwei riesige Hasen, die sind noch größer als der Kater damals«, berichtete Anja mir. »Und sie sind so fett, dass sie nicht mehr alleine hoppeln können, sondern immer getragen werden müssen, wenn die beiden sie mit in den Garten nehmen.«
Mir war das alles herzlich egal. Nur später, als ich hörte, dass Anja und Jörg Zwillinge bekommen hatten, da tat mir das junge Paar trotz aller Freude leid. Zwei Hasen hier, zwei Babys da, das konnte nicht gutgehen. Anja und Jörg hielten den Kampf der
Weitere Kostenlose Bücher