1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast): Wie ich es trotzdem geschafft habe
den Augen, während Herr Schuster, unsicher, das Gespräch mit mir führte. Ich hatte zwischenzeitlich die Empfindung, als sei die Szene eher eine Bewerbungssituation für Herrn Schuster als für mich. Er stand unter einem ungeheuren Druck. Er fing sogleich an, mir Fragen zu stellen. Was ich bisher gearbeitet habe, ob ich Englisch könne, ob ich mich für gute Produkte interessieren würde (was für eine Frage!), ob mir der Kontakt zu Menschen wichtig sei usw. Ich fing an, mich zu langweilen, und stellte nun selbst Fragen an ihn, dabei schaute ich auch Herrn Franken an.
»Um was für ein Unternehmen handelt es sich eigentlich? Was bedeuten die drei Buchstaben?«
Herr Schuster vergewisserte sich mit einem Seitenblick bei seinem Vorgesetzten. »Das ist eine Abkürzung. Wir sind ein Vertriebsunternehmen und auf besondere Versicherungen spezialisiert. Wir arbeiten nur mit ausgesuchten, fähigen Leuten zusammen. Deshalb haben wir Sie eingeladen.«
»Um welche Arbeit geht es denn genau?«
Jetzt war Schuster richtig in seinem Element. Er erklärte in blumigen Worten die Tätigkeit des Verkaufens von Versicherungen, beschrieb die Freude in den leuchtenden Augen von Hausbesitzern, wenn sie ein Rundum-sorglos-Paket abgeschlossen haben, erzählte von den einmaligen Produkten und von den großen Aufstiegs- und Verdienstmöglichkeiten.
»Kommen Sie, ich zeige Ihnen mal was.« Er sprang auf – kurzer Blick auf Herrn Franken, der nur kurz nickte – und zog mich am Ellbogen in den großen Flur. Genau so zogen mich meine Söhne immer in Richtung eines Vorgartens in der Nachbarschaft, in dem eine kleine Eisenbahn herumzuckelte. Herr Schuster und ich machten halt an der ersten Vitrinensäule. Auf schwarzem Samt lag dort eine silberne Angeber-Uhr. »Haben wir natürlich auch in der Damenausführung.« Nächste Vitrine. Wieder eine protzige Uhr, dieses Mal in Gold. »Raten Sie mal, was die wert ist.« Ich war wie gelähmt von so viel Hässlichkeit, die sich an einer einzigen Uhr verdichten kann, dass ich vorsichtshalber stumm blieb. Schuster mit glucksender Stimme: »Zweitausendvierhundert. Euro, nicht Lire, haha!« Nächste Vitrine. Schwarzer Samt, unterschiedliche Abzeichen zum Anstecken. Jetzt konnte ich auf einigen das winzige Logo erkennen. Auch ein Jaguar-Anstecker war dabei. Und silberne, goldene, mit verschiedenen Streifen, von eins bis sechs durchnumeriert. Herr Schuster senkte feierlich seine Stimme. »Frau van Laak, hier sehen Sie, was Sie bei uns alles erreichen können. Hier, beim ersten Grad, sind Sie Repräsentant, anderthalb Prozent Provision. Nach zehn erfolgreichen Fällen kommen Sie weiter. Das setzt sich so fort bis hin zum Direktionsrepräsentanten.« Er flüsterte jetzt nur noch. »Herr Franken, Sie wissen schon. Jahresgehalt um die fünfhunderttausend.« Dann winkte er mich weiter und lachte fröhlich. »Schauen Sie mal, hier. Raten Sie mal, was der wert ist.« Auf – richtig: schwarzem – Samt ein Modellauto. Mercedes Cabriolet. In Silber. »Ist ein Sondermodell. Zweihundertzehn Euro. Toll, was? Aber es geht noch höher. Sehen Sie nachher in meinem Büro.« Ich wollte ihm eine Freude machen und fragte mit großen Augen: »Herr Schuster, aber doch wohl nicht der goldene …?« Herr Schuster freute sich doller, als ich befürchtet hatte. Er zog mich wieder in das Büro zurück, kurzer Blick auf den steif dasitzenden Herrn Franken, dann holte er ein Vertragspapier hervor, ich sollte mich setzen und meine Unterschrift unter den Beginn einer erfolgreichen Zusammenarbeit setzen. Ich musste ein wenig lachen, er sei ja wirklich sehr begeistert, aber ich müsse den Vertrag erst zu Hause in Ruhe durchlesen. Jetzt meldete sich Franken zu Wort, tonlose Stimme, keine Mimik.
»Frau van Laak, wir haben den Vertrag für Sie vorbereitet, weil wir Sie für äußerst fähig halten. Sie verstehen, dass wir dieses Vertragswerk nicht aus dem Haus geben.«
»Nein, ich verstehe nicht.«
Frankens Augenbraue wanderte leicht nach oben. Überlegte er jetzt, ob es ein Fehler gewesen war, mich einzuladen? Stöberte er in seinem Gedächtnis nach einer Gesprächsführungsmethode, um mich in den Griff zu bekommen? Mein innerer Widerstand wuchs, der Versteinerungsgrad seiner Mimik auch.
»Frau van Laak, wir geben Ihnen jetzt ein wenig Zeit, alles zu überdenken. Wir kommen in zehn Minuten wieder.« Herr Franken stand auf und machte Herrn Schuster ein Zeichen mitzukommen.
»Moment, Herr Franken. Ich möchte bitte wissen, wer
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