1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast): Wie ich es trotzdem geschafft habe
Schönheit dieser Welt nicht verraten. Ich hatte sie nur umverteilt.
Später traf ich einmal die Eltern des jungen Cellisten. Sie gestanden mir, durch den Geigenbauer damals davon erfahren zu haben, dass es sich bei meinem Cello um einen Notverkauf gehandelt habe. Sie wollten unbedingt, dass Herr Wüstrow einen Preis machte, der es allen Beteiligten ermöglichte, das Gesicht zu wahren. Und ich hatte mich gewundert, dass sie als Käufer damals auch nicht ein winziges bisschen hatten verhandeln wollen, sondern den nicht geringen Kaufpreis für das schöne Instrument, ohne mit der Wimper zu zucken, sofort bezahlt hatten.
So war ich in der schweren Zeit sicher manches Mal eingebettet und geborgen in das hilfreiche Handeln fremder (oder mir bekannter) Menschen, ohne es selbst zu bemerken. Ich versuche heute nach meinen Möglichkeiten, diese Unterstützung weiterzugeben, an diejenigen, die es gerade brauchen. Auf diese Weise ist das Geben und Nehmen auf dieser Welt vielleicht wieder ein ganz kleines bisschen ausgewogener. Außerdem stimmt es mich versöhnlicher in der Betrachtung zurückliegender Ungerechtigkeiten, die den Kindern und mir widerfahren sind.
Meine Freundin Renate hat mir kürzlich eine Karte zum Geburtstag geschenkt, darauf steht: Es ist nie zu spät für eine schöne Vergangenheit.
Mama, Millie verschwendet dauernd Wasser.
Wie denn?
Die lässt den Wasserhahn laufen beim Zähneputzen. Dabei sollen wir doch überall sparen. Und sie lässt das Licht an im Kinderzimmer, das ist Stromverschwendung.
Gar nicht wahr, Mama! Jonas spart auch nicht, der macht jeden Tag auf seinem Fahrrad Klingelverschwendung!
Darf es ein bisschen weniger sein?
D er Verkauf des Cellos sorgte dafür, dass ich ein halbes Jahr lang Ruhe hatte. Wenn man in meinem Leben überhaupt von Ruhe sprechen konnte. Neben dem Alltag mit den vier mittlerweile fünf, sieben, neun und elf Jahre alten Kindern und kleineren Korrektorats-Jobs für Schulbuchverlage und dem Übersetzen von australischen und amerikanischen Sitcoms, in denen jeder Gag vorhersehbar war, schrieb ich fast täglich eine Bewerbung. Das kostete Zeit (und Geld). Ich lernte, gelassener mit den großen, braunen Umschlägen umzugehen, die in aufreizender Regelmäßigkeit von den Unternehmen, bei denen ich mich beworben hatte, zurückkamen. Die seelenlosen Anschreiben als Rückantwort auf meine ausgefeilten Bemühungen, meine Kompetenzen bestmöglich darzustellen, ärgerten mich bald nicht mehr. (Wohl nahm ich mir vor, selbst niemals in meinem Leben eine Absage in Standard-Manier zu verfassen. »Leider müssen wir Ihnen mitteilen« – das kann man wirklich auch anders formulieren.)
Der Alltag mit unseren Sparsamkeitsoffensiven spielte sich ein wenig ein. Das zugrundeliegende Prinzip war ziemlich einfach: Nichts ausgeben. Nichts. Schnell noch einen Coffee to go an der S-Bahn-Station? Verkneif es dir, Mama. Diese Haarspange da drüben sieht so niedlich aus. Nein, Millie. Neue Zahnpasta? Erst die alte Tube aufschneiden und die Reste aufbrauchen. Duftendes Shampoo, verschiedene Sorten? Nein, ein 08/15-Shampoo für uns alle zusammen reicht auch. Jetzt ein Schokocroissant? Gleich sind wir zu Hause, da kannst du einen Apfel essen, Frieda. Vier neue Schulhefte? Reiß die beschriebenen Seiten aus den Heften vom letzten Schuljahr raus, Jonas. Ein neues Workbook in Englisch? Nimm das alte Workbook von Frieda und radiere ihre Einträge aus, Till. Dein Turnbeutel ist schon wieder gerissen? Eine Einkaufstüte aus Stoff tut es auch.
Manche Gewohnheiten aus unseren fetten Jahren kamen uns zugute: Immer schon waren wir Bibliotheksgänger gewesen. Die Kinder waren vernarrt in Bücher und konsumierten solche Mengen davon, dass ich mit dem Bücherkaufen nie hinterhergekommen war. Für die Kinder gehörte der regelmäßige Besuch der nächstgelegenen öffentlichen Bibliothek einfach zum Leben dazu. Jetzt nutzten wir dieses kostenlose Vergnügen noch intensiver als sonst. Wir waren am Tresen der Buchausgabe bekannt wie bunte Hunde. Wir erschienen dort alle drei Wochen mit zwei Wäschekörben, bis oben hin gefüllt mit Büchern und Spielen (Comics waren von mir verboten worden, vor allem Jonas und Till hassten mich dafür). Als wir einmal wieder mit zwei mit Bilder-, Kinder- und Jugendbüchern beladenen Wäschekörben am Tresen standen, traf Frieda eine Klassenkameradin, die unsere fette Bücherbeute fasziniert anstarrte.
»Ich dachte, du hast nur Spaß gemacht, als du von Wäschekörben
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