1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast): Wie ich es trotzdem geschafft habe
für Jonas nach unserem Ortswechsel unbedingt einen Platz ergattern wollte.
So simpel es klingt – Essen war ein großes Thema. Das unmittelbare Gefühl der Befriedigung, wenn etwas Leckeres verspeist wird, konnte ich auch mit wenig Geld bei den Kindern schnell herbeizaubern. Mit einem einfachen Zuckerstreusel-Kuchen konnte ich sie zutiefst beglücken, stand eine Belohnung aus, durfte sich der- oder diejenige in der Schule in der Pause eine Brezel kaufen, ein Euro das Stück. (Die Klassenkameraden kauften sich die Brezel jeden Tag, manchmal sogar zwei, aber wer hat sie wohl intensiver genossen?) Karamellbonbons stellten wir selbst her – hatten meine Schwester und ich das nicht auch als Kinder gemacht? Walderdbeeren und Brombeeren aus dem kleinen Forst am Ende der Straße ergaben einen köstlichen Nachtisch. In den umliegenden Gärten durften wir Obst von den Bäumen pflücken, die älteren Leute freuten sich darüber.
»Ach, is det schön, da kommt mal richtig was wech, Sie mit die vielen Kinder, wa.«
Apfelpfannkuchen, Pflaumenmus, Birnenkompott, Mirabellenmarmelade – das Leben kann schön sein.
»Det janze Obst, det will ja keener mehr haben. Will ja keener mehr selber pflücken. Im Supermarkt da kriegen se die Äppel billig aus Chile, wat soll ’n det. Nee, nee, damals war nich alles schlecht.«
Auf solche Diskussionen ließ ich mich nicht ein, aber wir freuten uns über die großzügigen Spender, und Millie brachte artig ab und an ein Marmeladenglas rüber, mit einem von ihr geschriebenen Etikett, »Flaumen-Mamelahde mit Cimd«.
So kam der Herbst, die Kinder tollten in den Laubhaufen herum, waren oft ausgelassen und fröhlich und merkten nicht – sollten es nicht merken –, dass ich ständig bedrückt war. So sehr wir auch auf Sparflamme lebten, so sicher war es, dass wir auf diese Weise nie aus unserer knappen Finanzsituation herauskommen würden. Das Cello-Geld ging zur Neige, die Bewerbungen hatten nichts gefruchtet, ich war weiterhin auf der Suche nach einem festen Job, der uns eine gesicherte Existenz ermöglichen sollte.
Morgens klingelte um halb fünf der Wecker. Die Pflicht, auch diesen Tag wieder meistern zu müssen, legte sich dick und schwer wie ein Brandenburger Feldstein auf meinen Brustkorb. Dann dachte ich an die Kinder, die im Nebenzimmer tief schlummerten – und raus aus dem Bett war ich, kochte mir meinen ersten Kaffee und wusste: Ich würde es schaffen. Den Kindern zuliebe.
Liebe Mama ich mag dich und ich freue mich schon auf die geffühlten Paprikaschotten und ich finde das wir mal Eierkuchen machen sollten. Deine Millie.
In bester Gesellschaft
I st der seidene Faden erst einmal gerissen, an dem die eigene mittelständische Existenz gehangen hat, bekommt man viele Gelegenheiten, seinen ehemaligen Platz in der Gesellschaft und das damalige eigene Verhalten zu reflektieren. Spannend. Und ernüchternd.
Es war wieder so weit. Es gab ein Vorstellungsgespräch. Keine feste Stelle, wie immer. Aber wieder eine Gelegenheitsarbeit, die unseren finanziellen Zustand ein paar Wochen lang stabilisieren konnte.
An einem kühlen Herbsttag folgte ich den Angaben, die ein freundlicher Herr mir gegenüber am Telefon gemacht hatte, und fand mich vor dem langgestreckten Bungalow in einer ruhigen, grünen Seitenstraße in einem feinen Westberliner Stadtteil ein. Der Herr hatte in kurzen Abständen Bewerber zum Vorstellungsgespräch gebeten, meine Zeit war 13 Uhr 30. Bevor ich klingeln konnte, ging die Tür auf und eine sehr junge Frau, fast ein Mädchen noch, kam heraus. Sie nickte mir kurz zu, dann sah ich eine dunkelhaarige Mittfünfzigerin im Hauseingang, die mir bedeutete hereinzukommen. Sie hatte eine weiße Schürze um ihre runden Hüften gebunden, ihr Händedruck war kräftig und herzlich, sie strahlte mich aus fröhlichen Augen an. Sie sei Sabina, die Haushälterin von Frau Herbke, und sie würde mich zu Frau Herbkes Sohn führen, es ginge ja sicherlich um die Stelle als Gesellschafterin.
Der Bungalow und die Einrichtung strotzten vor edlen Materialien, alles war teuer. Und dennoch ziemlich geschmacklos. Der überkommene Charme der Sechzigerjahre lag über allem, damals mussten die Besitzer (Neureiche?) eine Menge Geld investiert haben. Wir gingen durch einen schmalen Flur, im Vorübergehen nahm ich die Oberfläche einer Kommode wahr, sie bestand aus aufwendigen Intarsienarbeiten, darüber hing ein Ölgemälde in einem sicherlich echten, aber gleichwohl scheußlichen
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