1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast): Wie ich es trotzdem geschafft habe
Goldrahmen. Das Motiv: vor grünem Hintergrund hockte ein grauer Dackel, dessen rosafarbenes Zünglein sich obszön dem Betrachter entgegenrollte.
Sabina betrat vor mir ein Wohnzimmer von riesigen Ausmaßen. Von der Straßenfront des Bungalows aus gesehen, hätte man einen Raum dieser Größe nicht vermutet. Die gesamte hintere Wand des Raumes war großzügig verglast, man sah in einen parkähnlichen Garten hinaus.
Meine Schritte wurden sofort vom hochflorigen elfenbeinfarbenen Teppichboden gedämpft. In der Mitte des Raumes stand ein glänzender, weißer Konzertflügel. Auf dem Korpus des großen Instruments stand auf einem gehäkelten Deckchen eine Vase à la Chinoise, aus der ein Strauß von malvenfarbenen Seidenblumen herauswucherte. An den Wänden hingen Originalgemälde, aufsteigende Pferde, Landschaften mit Wasserfällen, Berge und Schluchten, war das dahinten sogar ein röhrender Hirsch? Nur ein einziges Bücherregal zierte den saalartigen Raum, die Einbände waren alle von derselben Machart, dunkelrot mit goldenen Streifen. Entweder waren es mehrbändige Lexika oder die Besitzer hatten sich einen eifrigen Buchbinder geleistet. (Es waren sämtliche Ausgaben von Reader’s Digest, wie ich später herausfand.)
An der Stirnseite des großen Zimmers dehnte sich in einem großzügigen U eine beigefarbene Sofalandschaft aus. In der Mitte duckte sich ein Couchtisch aus Glas auf schmiedeeisernen Beinen in den weichen Teppich. Auf dem Tisch standen eine Flasche Apollinaris und zwei saubere Gläser, alles auf kleinen Filzuntersetzern, die mit einer kleinen, weißen Spitzenbordüre umrahmt waren.
Eine der großen Glastüren schob sich mit einem leisen Gleitgeräusch auf, und ein Mann in meinem Alter betrat aus dem Garten kommend den Raum. Sabina verschwand, und der Herr stellte sich mit »Rüdiger Herbke, es geht um meine Mutter« vor.
Herr Herbke war ein unscheinbarer, freundlicher und zugewandter Mann. Es ginge darum, seiner etwas hinfällig gewordenen Mutter für einige Zeit Gesellschaft zu leisten, bis eine dauerhafte Lösung gefunden worden sei. Ob ich mir dies vorstellen könne. Ich bejahte.
»Wissen Sie, meine Mutter, sie ist – wie soll ich es sagen – in letzter Zeit etwas unberechenbar geworden. Verstehen Sie? Sie hat ihren eigenen Kopf, sie hört nicht immer auf das, was ich oder Sabina ihr sagen. Sie ist wackelig auf den Beinen, kann leicht wieder stürzen, aber sie will trotzdem alleine vor die Tür gehen. Das geht nicht, wir brauchen jemanden, der so lange auf sie aufpasst, bis die Nachtschwester kommt und die Person ablöst.«
»Herr Herbke, ich traue mir das zu. Ich kann sehr gut mit älteren Menschen umgehen.«
»Das ist gut. Sie wirken auch gestandener auf mich als das junge Mädchen, das sich eben vorgestellt hat. Das ist nichts für ganz Junge. Die alten Leute sind, tja …«
Er seufzte, zog die Schultern weit nach oben und ließ sie wieder fallen, die gepolsterten Schultern seines dunklen Jacketts blieben noch eine Weile oben stehen, das verlieh ihm das Aussehen einer Figur aus einem Puppentheater.
»Die Alten werden wie die Kinder, wie die kleinen Kinder«, fuhr Herr Herbke fort. »Warten Sie mal ab, Frau van Laak, wenn Sie erst einmal Kinder haben, dann werden Sie noch an meine Worte denken.«
Ich sagte nichts, machte mir jedoch im Kopf eine Notiz, dass ich mit Frieda noch in diesem Monat zum Kieferorthopäden musste und morgen nicht vergessen durfte, für Jonas den Impfausweis für die Klassenfahrt herauszusuchen.
Herr Herbke und ich unterhielten uns noch eine kleine Weile, ich schien sein Vertrauen gewonnen zu haben, da klingelte es schon wieder.
»Ah, jetzt stellt sich die Nachtschwester vor. Sie warten einfach hier einen Moment, ich mache nur schnell das Vorstellungsgespräch, ich möchte Ihnen nachher noch meine Mutter vorstellen.«
Sabina führte eine Frau herein, die sich sichtlich unwohl in dieser Umgebung fühlte. Sie war Anfang dreißig, sehr dick, steckte in einem kittelähnlichen, weißen Kleid und hatte ein rotes, rundes Gesicht. Ihre dunklen, kurzen Haare waren einfach zurückgekämmt, sie trug keinen Schmuck außer einem dünnen, goldenen Halskettchen mit einem goldenen Kreuz, das sich auf der fettgepolsterten Haut ihres Dekolletés behäbig bettete. Die Frau knetete ihre Hände, wusste nicht, wohin sie schauen sollte, und deutete Herrn Herbke gegenüber bei der Begrüßung einen Knicks (einen Knicks ) an. Herr Herbke gab ihr nicht die Hand, stellte sich selbst
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