1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast): Wie ich es trotzdem geschafft habe
Kälte mit meinem Röckchen auf das Fahrrad. Dabei zerriss ich meine Strumpfhose am Schutzblech, und mein Rocksaum bekam einen dunklen Fleck von den Speichen, in denen er sich beim Anfahren kurz verhedderte. Ich hätte heulen können.
Und jetzt wieder alles von vorne, einen Job finden, rechnen, wie lange das Geld noch reichen würde, versuchen, es wenigstens bis zu einem Vorstellungsgespräch zu schaffen. Wieder lügen, Kinder unterschlagen, einen Ehemann dazu erfinden. Ich hatte es so satt. Und in zwei Wochen war Weihnachten.
Mama, warum weinst du?
Ach, das ist mir alles zu viel. Ich weiß manchmal nicht mehr weiter.
…
Aber mach dir keine Sorgen, Kind. Morgen sieht alles schon wieder ganz anders aus.
Mama, das geht auch schneller. Ich mache dir einen Kaffee mit ganz viel Milch und gebe dir von meinen Gummibärchen ab.
…
Siehste, Mama, jetzt weinst du noch, aber du lachst auch schon ein bisschen.
Auf deutschen Ämtern
F ür mich fühlte es sich wie eine persönliche Niederlage an, als ich einsehen musste, dass es ohne Sozialhilfe nicht mehr ging. Natürlich hatte ich ein Recht auf »Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB II)«, aber dieses »Recht-auf-etwas«-Denken lag verschüttet im hintersten Winkel meines entkräfteten Hamster-im-Rad-Hirns. Meine Gedankengänge bündelten sich stattdessen (katholisches Mädchen) stets zur Richtschnur Du-hast-die-Pflicht. Neben dem Pflichtprogramm, das ich wie selbstverständlich und klaglos absolvierte, nahm ich nun einen neuen Aspekt wahr: Deine Kinder und du haben ein Recht auf etwas.
Bei den Belehrungen der Sachbearbeiterin auf dem Amt, Fachbereich Grundsicherung und Vermittlung, über meine Rechte und Pflichten als Sozialhilfeempfängerin lauschte ich dementsprechend fasziniert, als der Part mit den Rechten drankam. Denn die Pflichten hatte ich bereits verinnerlicht, wenn ich sie nicht eh schon erfüllt hatte (kontinuierliches Bemühen um eine Arbeitsstelle, sparsames Haushalten, Annehmen von Jobs außerhalb des eigenen Ausbildungsbereichs).
Es ging nun nicht mehr anders. Ich war bereit, ein Teil der geduldigen Masse der Leistungsempfänger zu werden, die mich noch einige Monate zuvor in der Kantine am Set der Pseudo-Realityshow so schockiert hatte.
Ich schämte mich. Sogar meinen Kindern gegenüber, obwohl ja gerade sie von den »Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts« profitieren sollten. Aber es gab, wie so oft in dieser Zeit, einen Satz, einen einzigen Satz, den eine Sachbearbeiterin zu mir sagte. Und der machte den feinen Unterschied.
Für meinen Fall war ein winziges Amt mit zwei Damen hinter Schreibtischen aus der Blütezeit des ostdeutschen Büroinventars zuständig. Von der gelangweilten Stimme hinter der Amtstür aufgerufen, betrat ich auf leisen Sohlen das stickige Zimmer, vorsichtig und verzagt, schließlich war ich Bittstellerin.
Die Alpenveilchen auf dem Fensterbrett waren eingerahmt von einem gedrungenen Tontöpfchen zur Aromatherapie, rechts daneben ein Fähnchen auf zwei Entenfüßen, mit der Aufschrift »Grüße vom Balaton«.
Die Sachbearbeiterin schaute nicht auf, als ich mich setzte. Sie spürte jedoch, dass etwas eine Nuance anders war als sonst. Aber erst musste der Aktendeckel zugeschlagen werden, dann kam der Blick zum Besucher. Mein Lächeln wurde erwidert. »Wen haben wir denn da? « oder so etwas Ähnliches muss sie gedacht haben. Ich schätzte sie auf Anfang fünfzig, ihr Übergewicht kaschierte sie mit einem flatternden Oberteil aus Synthetik, die dauergewellten Haare hätten längst wieder am Ansatz nachgefärbt werden müssen, und ich war mir sicher, dass ich eine typische Ost-Vita vor mir hatte, mit all den Höhen und Tiefen, die die Wende mit sich gebracht hatte. Was wird sie über mich gedacht haben? Blasse West-Tussi mit brotlosem geisteswissenschaftlichem Studium versucht es jetzt mal mit Sozialhilfe?
Wir beäugten uns vorsichtig. Auf ihrem Schreibtisch stand ein gerahmtes Foto mit drei Kindern im Alter von meinen. Also war sie bereits Großmutter, und das sicherlich seit sie Anfang vierzig war, für eine Ost-Biographie nichts Ungewöhnliches.
Ich fing direkt mit meinen vier Kindern an. Schilderte unsere Nöte, meinen Willen, es alleine zu schaffen, aber ich könne nun nicht mehr. Ob ich eventuell …?
»Jetzt passen Sie mal auf, junge Frau. Mit Ihren vier Kinder, da steigen Sie jetze mal als Mutti in den Bus ein, und fahren Sie jetze mal für ein halbes Jahr mit, na in dem Sozialhilfe-Bus, meine ich,
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