1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast): Wie ich es trotzdem geschafft habe
meine zweimonatige Zeit als persönliche Korrekturleserin und Übersetzerin des Dichters M. Dieser erwies sich als kultivierter, höflicher Mensch, dessen schriftstellerisches Schaffen ich gerne ins Englische übertrug. Ich hoffte inbrünstig, dass sich nicht irgendein englischer Muttersprachler darüber totlachen würde, aber Herr M. war sehr zufrieden mit meiner Arbeit.
Es war mittlerweile Winter geworden, auf dem Fahrrad war es sehr kalt, und ich fluchte über die dünnen Röckchen, in denen ich morgens durch bissige Windböen zum Dichter radelte. Meine Garderobe gab nur zwei Rock-Varianten her, was von Frau M. nach einem Monat bemängelt wurde, so dass ich mir noch ein Kleid von meiner Schwester lieh, in dem ich natürlich ebenso fror.
In der kurzen Zeit, in der ich mich in dem herrschaftlichen Haus mit seinen zahlreichen weißen Räumen bewegte, konnte ich auch das Geheimnis um die Jeansträgerin lüften. Die osteuropäische Maid – sie hieß Svetlana und kam aus Usbekistan – erklärte mir, dass in diesem Haus nur eine einzige Ausnahme gemacht würde, was die Kleiderordnung betraf. Nämlich für Ella, die polnische Perle, ohne die der aufwendige Haushalt mit all seinen Teatimes, Partys, Meetings und Gästen aus aller Welt nicht funktionieren würde. Ella habe kündigen wollen, weil sie gezwungen worden sei, sich von ihren Hosen zu trennen – da hätten die Hausherren im letzten Moment eingelenkt. Svetlana lächelte wieder und fragte mich dann in ihrem weichen osteuropäischen Akzent: »Pettra, weißt du, was passiert, wenn Ella ist oben bei Herrschaft? Sie macht Blumen schön auf die Tisch oder sie kocht oder sie alles räumt schön auf. Weißt du, was passiert, wenn klingelt, und kommt Besuch?! Na?«
Ich hatte keine Ahnung. Svetlana flüsterte mir zu: »Ella in Keller. Das passiert dann. Ella muss in Keller. Weil sie hat Hosen an.«
Und tatsächlich, so war es. Wenn es Tage mit besonders viel Besuch gab, verbrachte Ella fast ihre gesamte Arbeitszeit im Keller, damit sie nicht etwa in Hosen von Gästen gesehen werden konnte. Mit ausdrucksloser Miene bügelte sie dann stundenlang, oder sie kümmerte sich um die Vorratshaltung. Ich wusste nicht – wer war jetzt schlimmer dran? Wir anderen, die wir uns dem Röcke-Diktat gebeugt hatten und frei umherlaufen konnten, oder Ella, die ihre Hosen-Würde behalten hatte und in den Keller verbannt wurde? Welche Freiheit zählte letztendlich?
Es war Anfang Dezember und ich hatte mir mit meinen bestrumpften Beinen auf dem Rad eine dicke Erkältung eingefangen. Meine Wut auf die Menschen, die uns ihre verbohrte Ästhetik aufzwangen, wuchs beständig.
Zu Herrn M. hatte ich ein höflich-distanziertes Verhältnis. Er redete kaum, also arbeiteten wir konzentriert und still. Manchmal ging ich in einer kurzen Pause – Herr M. telefonierte oft und schickte mich dann hinaus – zu den anderen Angestellten in die weißen Katakomben, um einmal fröhlich schwatzen zu können. Wir mussten aufpassen, dass Frau M. uns nicht dabei erwischte, denn sie duldete keine Gespräche zwischen den Angestellten.
Ich verstand mich besonders gut mit einer jungen Praktikantin von der Lette-Schule, die seit kurzem zu uns gestoßen war. Pauline war klein und mollig und hatte eine blonde, wilde Naturkrause, einem Afrolook nicht unähnlich. Die Köchin hatte sie für vier Wochen aufgenommen, nachdem sie die Erlaubnis von Frau M. eingeholt hatte. Pauline war sehr lustig und brachte uns alle immer wieder zum Lachen. Den Herrschaften begegnete sie zum ersten Mal, als diese von einem Besuch im Ausland zurückkamen. Herr M. soll starr vor Schreck gewesen sein, als ihm Pauline vorgestellt wurde. Noch am selben Tag musste Pauline das Haus verlassen, berichtete uns die Köchin. Wie sie allen Ernstes eine Person mit einer Negermähne habe einstellen können, habe Herr M. sie gerügt. Eine Person mit solchen Haaren sei sofort aus seinem Haus zu entfernen. Pauline wird hoffentlich eine bessere Praktikantenstelle gefunden haben.
Niemandem von uns kam es in den Sinn, gegen die ästhetischen Kriterien aufzubegehren, denn eine jede hing mit großer Verzweiflung an ihrem Job. Langsam verfestigte sich meine Annahme, dass die Herrschaften ein exzellentes Gespür dafür hatten, wer sich in einem Engpass befand und bereit war, begleitet von entsprechenden Einschüchterungen, eine Menge für die bezahlte Arbeit in Kauf zu nehmen.
Peu à peu erfuhr ich durch die Bediensteten, die schon jahrelang dort in Lohn
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