1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast): Wie ich es trotzdem geschafft habe
und wenn Sie wieder Arbeit haben, dann steigen Sie eben wieder aus.«
Dieses einfache Bild machte es mir plötzlich möglich, Leistungen vom Staat anzunehmen, mein Gesicht zu wahren und die Perspektive auf bessere Zeiten nicht aus den Augen zu verlieren.
Es ging nun darum, den Antragsstapel auszufüllen. Meinen Beruf gab ich mit »Lektorin« an, daraus machte sie Vorleserin in der Gemeinde, was mich irgendwie freute. Sie fragte nach dem Beruf des Ex-Mannes. Ich schob ihr Andrés neueste Visitenkarte mit dem flotten Schriftzug »Senior Consultant« über den fleckigen Schreibtisch.
In dem Moment kam ihre Kollegin herein, ebenso füllig wie sie selbst, gleiche Frisur – gleiche Vita?
»Du, Hannelore, sach mal, weeßt du, was dat is, der Alte von der jungen Mutti hier ist Zeniohrkonsultan.«
Wir einigten uns für das Formular auf »Berater«.
Solange ich mit dem winzigen Amt und den beiden Damen zu tun hatte, konnte ich mit der Tatsache leben, dass ich fremde Hilfe in Anspruch nahm. Meine patente Sachbearbeiterin kümmerte sich für mich um einmalige Zuschüsse, zum Beispiel als Millie in die Schule kam. Weil es aktuell bei meinem ersten Amtsbesuch auf Weihnachten zuging, gewährte sie mir zwanzig Euro extra pro Kind fürs Geschenkekaufen.
»Na, wir wollen doch Kinderaugen leuchten sehen unterm Baum, was?!«
Mich rührte ihr Engagement innerhalb der Beschränkungen, die das Amt ihr auferlegte. Als ich das letzte Mal vor meinem Umzug dort vorstellig wurde, war ich fast ein wenig traurig. In einer solchen Ämterzeit kann man seine Sachbearbeiterin hassen oder schätzen lernen.
Unser erstes Weihnachtsfest als Sozialhilfeempfänger unterschied sich nicht gravierend von dem vorhergehenden. Das Geschenke-Budget pro Kind hatte ich auf fünfundzwanzig Euro festgezurrt (Vorjahr: zwanzig Euro). Für diesen Betrag konnte man nur für Millie allerlei kleine Nettigkeiten erstehen, für die Älteren musste ich mich für ein einziges Geschenk entscheiden. Frieda bekam ein original Scrabble-Spiel, Jonas ein Backgammon und Till ein kleines Köfferchen mit Matchbox-Autos, die aber heutzutage Wheelz heißen – die Jungens ermahnten mich stets geduldig.
Was den Weihnachtsbaum betraf, gab es eine Veränderung: Im letzten Jahr hatte ich im Dunkeln eine bereits abgeholzte, räudige Fichte von einem Baugrundstück geklaut, in diesem Jahr schickte ich Jonas und Millie los, einen Tannenbaum kaufen. Ich schärfte Jonas ein, nicht mehr als fünfzehn Euro auszugeben. Die beiden blieben ziemlich lange weg. Millie stürzte zwei Stunden später in die Küche und rief: »Mama, Jonas hat zwei Euro mehr ausgegeben. Aber bitte sei nicht böse, dafür ist der Baum besonders doll behaart.«
(Wir freuen uns seitdem jedes Jahr an dicht behaarten Tannen.)
Nun erhielten wir also laufende Leistungen zum Lebensunterhalt. Sie basierten auf der Bedarfsberechnung, die zuvor vom Amt angestellt worden war. Unser Bedarf zu fünft, inklusive Miete und Heizkosten und einem Zuschlag wegen Alleinerziehung, belief sich demnach auf zweitausendzwanzig Euro und zwanzig Cent monatlich. Davon wurden meine bescheidenen Einkünfte, die ich zwischendurch etwa durch Korrekturlesen erzielte, abgezogen (im Schnitt dreihundert Euro monatlich). Weiterhin wurden von dem Bedarf das Kindergeld und der Unterhaltsvorschuss abgezogen, so dass der erste Zahlbetrag, die »Hilfe zum Lebensunterhalt«, vierhunderteinundachtzig Euro und fünfundvierzig Cent waren. (Die Miete in Höhe von sechshundertfünfzig Euro bezahlte das Amt.) Ich hatte also insgesamt circa fünf Euro zwanzig pro Person und Tag zur Verfügung, oder andersherum: Hundertzweiundachtzig Euro mussten für uns fünf in der Woche reichen. Davon musste alles bezahlt werden: Essen, Schuhe, Kleidung, Schulmaterialien, Versicherung, die Raten des Rückführungsdarlehens, die gestundeten Beträge der Kostennote des Rechtsanwalts, Geburtstage, Festtage, alles. Immerhin: Das waren fast fünfhundert Euro mehr als bisher, die ich nun monatlich zur Verfügung hatte. Eine astronomische Summe. Ich fühlte mich kurzzeitig heiter und gelassen.
Sobald ich etwas mehr verdiente, weil ich erneut einen Job für ein paar Wochen ergattert hatte, fiel ich aus der Sozialhilfe wieder heraus. Dann musste ich stattdessen Wohngeld beantragen, um über die Runden zu kommen. Die zuständige Wohngeldstelle lag wiederum in der nächsten Kreisstadt, mein persönliches Erscheinen war aber jedes Mal notwendig.
Insgesamt betrachtet hatte ich zwar
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