1 - Schatten im Wasser
in ein riesiges Raubtier verwandeln kann, ist es doch möglich, dass es Feuer von der Sonne bekommt.«
»Eh«, rief Mzilikazi, beugte sich vor und spähte durchs Glas. Mit einem Aufschrei fuhr er zurück und starrte sie entsetzt an. Ein Strom von Worten ergoss sich über seine Lippen, er klickte,
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zischelte, rollte dabei die Augen und zeigte mit gespreizten Armen, wie riesig dieser Käfer war. Doch als er den Finger ausstreckte und das Glas beiseite schob, um ihn zu berühren, krabbelte da nur das harmlose, winzige Insekt auf ihrer Handfläche. Vorsichtig reckte er seinen Kopf und inspizierte es. Blitzschnell schob Catherine die Lupe wieder davor, und der Käfer wuchs erneut ins Unermessliche. Sie lachte, als Mzilikazi zusammenzuckte, hielt nun das Glas weit von sich und hieß ihn, wieder hindurchzusehen. Sie hatte es auf Jikijiki gerichtet, und plötzlich erschien ihm seine Verlobte winzig klein, obendrein stand sie auf dem Kopf. Schweißperlen erschienen auf der Stirn des Zulus, seine Lippen zuckten. Er lief zu Jikijiki, betastete sie und schaute ungeheuer erleichtert, als er sie in normaler Größe und auf ihren Beinen stehend fand. Wieder sah er durch die Lupe, wieder schrumpfte sie und hing verkehrt herum. »Hau«, flüsterte er.
Catherine sah es mit Genugtuung. »Nun werde ich die Sonne bitten, uns Feuer zu schicken. Pass auf.« Rasch ballte sie zundertrockenes Gras zusammen und hielt das Vergrößerungsglas so, dass die gebündelten Sonnenstrahlen auf einen Punkt trafen. Bald stieg ein dünner Rauchfaden auf, und das Gras begann zu glimmen. »Da!«, rief sie und trug das Feuer mit einem Fidibus aus trockenen, dünnen Zweigen ins Kochhaus.
Doch erst als er die Glut mit dem Finger berührt und sich schmerzhaft verbrannt hatte, war Mzilikazi geneigt zu glauben, dass die Nkosikasi nicht nur mit der Sonne sprechen konnte, sondern dass diese ihr auch gehorchte. Beunruhigt betrachtete er die kleine Brandblase an seinem Zeigefinger und warf ihr dabei einen argwöhnischen Blick zu. Man musste wirklich vorsichtig im Umgang mit dieser Umlungu sein.
Catherine legte das Vergrößerungsglas in die Besteckkommode, damit es immer in Reichweite war, beauftragte Jikijiki, Wasser aufzusetzen, und schwang sich auf Caligula.
Als sie mit Mzilikazi an der Seite das Umuzi erreichte, schickte sie ihn vor, um sich anmelden zu lassen. Mzilikazi verschwand hinter dem Tambotizaun, und sie hörte aufgeregte Stimmen. Kurz darauf erschien ein krummbeiniger, vertrockneter Zulu,
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der sich den Kaross, eine Decke aus blank geschabter Rindshaut, wie einen Königsmantel um die Schultern gelegt hatte. Sein Gehabe machte deutlich, dass er der Häuptling dieses Dorfes war. »Sawubona, Nkosikasi«, grüßte er mit allen Anzeichen von Misstrauen, doch respektvoll und zog den Kaross enger um seine Schultern.
Sie antwortete mit den traditionellen Floskeln. »Ich habe gehört, dass es deiner Frau schlecht geht. Führe mich bitte zu ihr.« Sie glitt vom Pferd, nicht ohne ihr Gewehr mitzunehmen. Waffen standen bei den Zulus hoch im Kurs, und sie wusste, es würde sonst auf Nimmerwiedersehen verschwinden.
»Du musst gut auf dein Gewehr achten«, hatte Johann gemahnt. »Sonst starren wir eines Tages in die Läufe unserer eigenen Flinten. Die Zulus haben zwar sehr eindeutige Gesetze, was den Besitz eines anderen betrifft, aber die lassen sie nur für ihresgleichen gelten. Sie sind ein kriegerisches Volk, immer noch vom Geist Shaka Zulus beseelt, und Feuerwaffen in ihren Händen würden das Ende der Kolonie Natal bedeuten. Erst kürzlich musste ein Händler in Durban einen Monatsverdienst Strafe dafür zahlen, dass er Schwarzen Schusswaffen verkauft hat. Glücklicherweise haben sie noch Schwierigkeiten, damit zu zielen, aber das werden sie bald lernen, und dann werden sie auch treffen.«
Diese Warnung beherzigend, packte sie ihre Flinte fester und betrat die Hütte. Das Innere war dämmrig und völlig verräuchert. Die Frau, die auf der Strohmatte lag, schien sehr jung. Ihr Kopf ruhte auf einem Holzblock, der ihr als Kopfkissen diente. Sie lag zur Seite gekrümmt und wimmerte, war offenbar nicht bei sich. Catherine beugte sich über die Kranke und legte ihr die Hand auf die Stirn. Sie glühte. Die Frau hatte hohes Fieber. Ihre Augen waren tief in ihre Höhlen gesunken, aber als sie die Lider anhob, sah Catherine, dass die Augäpfel klar waren, nicht gelb verfärbt wie beim Sumpffieber. Sie litt jedoch unter starken Leibschmerzen, denn sie
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