1 - Schatten im Wasser
langen Tage denken, die sie allein auf Inqaba war. In der nächsten Zeit würde sie besonders wachsam sein müssen.
Die Kohle war sandig, und sie wusch sie erst, bevor sie die Stücke mit einem Stein zu Puder zerstieß und unter das Wasser rührte. Geduldig fütterte sie die Frau mit dem Brei, benutzte dafür einen kleinen, aus einer Kalebasse geschnitzten Löffel und gab ihr nach jedem Schluck reichlich Wasser zu trinken. Wieder hatte sie keine Vorstellung, wie viel Kohle gut für die Frau war und ob eine zu hohe Dosis ihr schaden würde. Am Ende entschied sie, dass drei Löffel reichen müssten, und gab der ersten Frau des Häuptlings, einer dicken, missmutig wirkenden Matrone, die Anweisung, bis die Sonne zum zweiten Mal aufging, der Kranken den Rest des Kohlebreis zu verabreichen.
»Eine Woche lang darf sie weder Fett noch Fleisch essen, nur Gemüse und Obst«, sagte sie. Das hatte ihr Vater damals auch angeordnet. Ihre Anweisung wurde eingehend kommentiert. »Und sie muss viel trinken.«
Sie blieb noch eine halbe Stunde, um die unmittelbaren Auswirkungen zu beobachten. Es kam ihr vor, als ließen die Leibschmerzen ihrer Patientin etwas nach, aber sicher war sie nicht. Die Kranke redete nur wirres Zeug.
Sie schlug spontan ein Kreuz über der wimmernden Frau und fragte sich, ob diese den Tag überleben
und welche Konsequenzen das für sie selbst haben würde.
*
Die Antwort bekam sie nach zwei Wochen. Der alte Häuptling tauchte auf dem Hof auf, in seinem Gefolge eine junge, hübsche Frau, bekleidet mit einem Rindshautrock und den Überresten eines Umhangs aus zusammengenähten Ziegenfellen, die Catherine erst erkannte, als der Ehemann sie als seine genesene Frau vorstellte.
Erwartungsvoll lächelte sie den Zulu an, wartete auf seinen Dank. Doch der kam nicht.
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»Nun ist meine Frau wieder gesund, aber sie ist hungrig, und sie friert.
Du musst ihr Essen geben, am besten eine Ziege, und ich wil eine Wolldecke für sie haben«, verlangte er zu ihrem Erstaunen.
»Was soll ich?«, stieß sie gereizt hervor. »Ich habe keine Decke.
Verstehst du? Keine Decke! Warum sollte ich dir eine Decke oder eine Ziege geben? Ich habe deine Frau gesund gemacht. Du solltest mir etwas schenken.«
Der Mann, der unter seiner um die Schultern gelegten Decke nichts weiter auf dem Leib trug als die üblichen Schwänze und Lederstreifen, setzte ein hochmütiges Gesicht auf. »Du hast ihr Leben gerettet, jetzt gehört es dir. Du musst es von jetzt an beschützen. So ist es Brauch. Wenn sie nichts zu essen bekommt, verhungert sie. Die Winternächte in Zululand sind kalt, ohne Decke wird sie erfrieren, und das wird deine Schuld sein. Du hast sie dann getötet.«
Ungläubig starrte sie den Mann an. »Du bist wohl völlig verrückt geworden«, teilte sie ihm auf Deutsch mit. Dann wechselte sie ins Zulu.
»Hier gibt es keine Decke und keine Ziege. Geh weg«, rief sie und machte eine scheuchende Bewegung. »Hamba!«
Der Häuptling schob sich aufgeregt schimpfend näher, bis er dicht vor ihr stand. Sie verstand nur einen kleinen Teil von dem Wortschwall, der sich über sie ergoss, aber angesichts seiner Gestik und Mimik genügte das auch. Mit seinem Kampfstock vor ihrem Gesicht herumfuchtelnd, machte er ihr klar, dass er ohne Ziege und Wolldecke den Hof nicht verlassen würde.
Die Frau stand teilnahmslos im Hintergrund und betrachtete ihre Zehen.
»Suka!«, schrie sie ihn an. »Verschwinde!« Mit wirbelnden Röcken rannte sie ins Haus, wollte eben die Tür zuschlagen, als sie gewahr wurde, dass der Zulu ihr auf dem Fuße gefolgt war und sich jetzt in den Gang drängte. Er schien ernstlich böse zu sein.
Nun, das war sie auch. Mit Wut und Geschrei kam sie offenbar nicht weiter. Aber sicherlich mit List. »Bleib hier stehen«, fauchte sie, lief zu ihrer Besteckkommode und holte die Lupe
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heraus. Mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht demonstrierte sie ihm ihre Macht, Dinge zu vergrößern, Dinge zu verkleinern und die Welt auf den Kopf zu stellen. Erst ließ sie eine Heuschrecke als Monster erscheinen, dann hielt sie die Lupe weit weg, und schon sah es aus, als sei seine Frau nur noch daumengroß und müsse verkehrt herum laufen. Er fuhr mit allen Anzeichen von Furcht zurück.
»Keine Ziege«, beschied ihm Catherine noch einmal, streckte ihren Arm weit aus, hob langsam die Lupe und tat so, als würde sie ihn damit betrachten.
Die beiden Zulus rannten wie aufgescheuchte Hasen, und sie lachte noch, als sie längst im
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