1 - Schatten im Wasser
gewesen waren. Zwei Wochen war er weg gewesen, den Abend vor seiner Abreise hatte sie ihn abgewiesen, und nach seiner Rückkehr hatte es zwei Wochen gedauert, ehe sie wieder zusammenfanden.
Jedes Mal, wenn er sie begehrlich streichelte, bekam sie eine Gänsehaut und konnte diese unsichtbare Wand aus Schuldbewusstsein und Scham nicht überwinden. Sie schützte Müdigkeit vor. Seine kaum verhehlte Enttäuschung zerrte an ihren Nerven. Er stürzte sich darauf in die Arbeit, stand vor Sonnenaufgang auf, schuftete mit seinen Zulus, den Hof vom Matsch zu befreien, die Veranda wieder aufzubauen, das Kochhaus, die 741
Wände des Toilettenanbaus und das Wasserreservoir. Jeden Abend fiel er bei Sonnenuntergang völlig geschafft ins Bett, und sie lag neben ihm, lauschte seinen schweren Atemzügen und bat ihn schweigend um Verzeihung.
Für kurze Zeit hoffte sie, dass es sein Kind wäre. Dann begann sich ihr Bauch jedoch deutlich zu wölben, und sie wusste, dass es nicht sein konnte. Sie war zu weit für die Zeit, in der er als Vater infrage kam.
Johann überraschte sie, als sie sich morgens in der Küche übergab, begriff sofort, was es bedeutete, und schloss sie begeistert in die Arme.
»Ab jetzt musst du dich schonen, damit Vik- torias Brüderlein in Ruhe wachsen kann. Also wirst du weder Schlamm schaufeln noch schwere Sachen tragen. Du wirst ab jetzt das Leben einer verwöhnten Dame führen.« In seiner überschwänglichen Freude nahm er ihre abweisende Reaktion nicht wahr.
Von nun an lebte sie in ständiger Furcht, dass er herausbekommen könnte, was geschehen war. Doch die Zeit verging, das Baby wuchs, Johann war bestens gestimmt und freute sich wie ein Schneekönig auf die Geburt. Abends im Bett streichelte er zärtlich über ihren Bauch.
»Es sieht ja fast so aus, als ob wir Zwil inge bekommen, so weit bist du schon. Wir werden Martha Strydom vier Wochen vorher kommen lassen«, sagte er. »Am besten auch gleich Man- disa dazu.« Er lachte und küsste hingebungsvoll erst ihren Mund, dann die zarte Haut auf ihrem Bauch.
Bei seiner Bemerkung über ihren Umfang wurde ihr heiß und kalt vor Schreck. Sie verstrickte sich immer tiefer in ihren Depressionen, wurde blass und stil , und um die Weihnachtszeit, deren Abende Johann damit verbrachte, in der Abendhitze auf der Veranda ganze Herden kleiner Tiere zu schnitzen und ein größeres Bett für Viktoria zu bauen, damit das Baby in der Wiege liegen konnte, erreichte ihre Verzweiflung den Höhepunkt.
Sie versuchte, das Kind loszuwerden. Wenn Johann auf den Feldern war, schleppte sie die schwersten Wassereimer, grub den 742
Garten um, ja sie ging so weit, dass sie mehrfach vom Tisch sprang, um eine Fehlgeburt herbeizuführen. Ihr erstes Kind hatte sie so leicht verloren und große Angst gehabt, dass es auch mit Viktoria passieren würde, doch dieses klammerte sich fest. Sie durchwühlte ihre Bücher nach einer Medizin, die das Problem lösen konnte, schluckte Rizinusöl löffelweise, aber auch das half nicht. Sie bekam lediglich entsetzlichen Durchfall. In ihrer schwärzesten Stunde erwog sie, vier Rizinussamen zu zerkauen. Von Sicelo hatte sie gehört, dass das mehr als genug war, um einen Menschen umzubringen. Es schien eine beliebte Methode der Zulus zu sein, sich auf diskrete Weise eines Feindes zu entledigen.
Sie hielt die Samen bereits in der Hand, als Viktoria plötzlich durchs Wohnzimmer krabbelte. Mit ihren pummeligen Händchen packte sie ein Tischbein und zog sich ganz langsam auf die Beine. Sich immer noch festhaltend, machte sie einen Schritt auf ihre Mutter zu, blieb einen Augenblick unsicher schwankend stehen und strahlte sie aus leuchtend blauen Augen an, bevor sie auf ihren Po plumpste. Es war der erste selbständige Schritt ihres kleinen Lebens gewesen.
Catherine sah ihre kleine Tochter an, die ihr vertrauensvoll die Ärmchen entgegenstreckte, und eine Welle von Scham überflutete sie. Sie warf die Rizinussamen weit von sich in den Garten, fiel vor Viktoria auf die Knie, zog sie in die Arme und schmiegte sich an sie, atmete ihren blütenfrischen Duft ein, konnte gar nicht von ihr lassen.
Von diesem Augenblick an akzeptierte sie ihr Schicksal. Sie würde nicht auf Inqaba bleiben können, das vermochte sie Johann nicht zuzumuten.
Ihn, der ihr nur Liebe und Fürsorge geboten hatte, so zu betrügen, ging über ihre Kraft. Die Frage, ob er sie mit Viktoria ziehen lassen würde, verdrängte sie. Daran, dass er ihre Tochter fordern könnte, mochte sie nicht
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