Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

1 - Schatten im Wasser

Titel: 1 - Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
Vom Netzwerk:
Sand liegend, mit verklebten Haaren, feuerrot verbrannter Haut und aus vielen kleinen Wunden blutend, bekleidet nur mit einer zerlöcherten Hose. Mit Sicherheit ein jämmerlicher Anblick.
    Die Zähne zusammenbeißend, drückte er sich auf die Füße und richtete sich zu seiner vollen Größe von sechs Fuß und vier Zoll auf. Auch der Junge stand auf, und Johann bemerkte zu seiner Genugtuung, dass dieser um gut einen Kopf kleiner war als er selbst. Reglos starrten sie sich an.
    Plötzlich sprach der Junge ein paar Worte mit dunklen, lang gezogenen Vokalen in einer ruhigen Melodie. Dabei lächelte er, ein anziehendes, würdevolles Lächeln, das Johann veranlasste, unwil kürlich auch zu lächeln und einen Schritt auf den jungen Schwarzen zuzugehen.
    »Guten Tag«, sagte er dann auf Deutsch, »mein Name ist Johann.«
    Dabei zeigte er auf sich und wiederholte seinen Namen. »Johann.«
    Der junge Bursche schien sofort zu begreifen. Er legte eine Hand auf seine Brust. »Sicelo«, sagte er und trat ebenfalls einen Schritt näher.
    Johann tat es ihm gleich, und nun trennte sie nur noch eine Armeslänge.
    Zögernd streckte er ihm seine Hand entgegen. »Sicelo?«
    Der Junge musterte ihn mit ernstem Blick und lächelte wieder dieses wunderbare, unschuldige Lächeln. »Johann?«
    Dann legte er seine Hand vorsichtig in die des Weißen.
    Damit wurden sie Freunde, Johann, der Bayer, und Sicelo, der Zulu, und die Freundschaft sollte halten, bis der Tod sie schied.
    10

KAPITEL I
    Er war schon betrunken, das wusste er, aber er trank weiter.
    Seit über einer Woche lag er in diesem Pestloch fest und hatte nichts Besseres zu tun, als sich Rum die Kehle hinunterzuschütten. Es gab keine Kneipen und keine Weibsbilder. Wie sollte ein Seemann das nüchtern ertragen? Mit den Backenzähnen, die Vorderzähne waren kürzlich bei einem Fall den Niedergang hinunter herausgebrochen, zog er den Korken aus der Flasche und spuckte ihn aus, stieß dabei das Glas vom Kartentisch. Jede Bewegung des Seglers ließ es mit dumpfem Ton über den Plankenboden rollen. Er bückte sich, ächzte, als ihm ein scharfer Schmerz in die Beine fuhr, und fing es ein. Das Geräusch ließ ihn an die Trommeln zum Jüngsten Gericht denken, der Schmerz erinnerte ihn daran, dass dieser Tag unaufhaltsam näher kam. Das wiederum führte seine Gedanken zu dem Häuschen in Husum, unter dessen dickem Rieddach er mit seiner Anna, seiner weißblonden, rosafarbenen, süß duftenden Anna, den Lebensabend zu verbringen gedachte, und nun gelangte er geradewegs zu der unangenehmen Tatsache, dass Monsieur bereits seit Sonnabend überfallig war.
    An den Fingern zählte er die Tage ab. Heute musste Dienstag sein, die vierte Woche im April 1850, und Freitag wurde die Carina in Säo Paulo de Loanda erwartet, um Fracht aufzunehmen. So war es abgemacht. Sollte er nicht innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden Anker lichten, würde ihm das Geschäft in Loanda durch die Lappen gehen. Das lukrativste Geschäft seines Lebens. Elfenbein. Herrliches, schimmerndes Elfenbein, genug, um seinen Laderaum zu füllen. Sein Auftrag war es, die Ladung in Kapstadt an einen Mann zu übergeben, dessen Namen er nicht kannte. Nur ein Erkennungswort hatte man ihm mitgeteilt. Kotabeni. Es war nicht wahrscheinlich, dass so einer auf ihn warten würde.
    Ii
    Ohne seinen Anteil aber bliebe das Häuschen in Husum ein Luftschloss.
    Al es drohte nun den Bach hinunterzugehen, nur weil der Monsieur auf der Suche nach ein paar Ekel erregenden Würmern, die angeblich kein Mensch vor ihm je gesehen hatte, offenbar die Zeit vergaß. Hastig setzte er die Flasche wieder an; er machte sich gar nicht erst die Mühe, den Rum ins Glas zu gießen, erpicht darauf, diese düsteren Gedanken schnell zu ertränken und das Zittern seiner Hände zu beruhigen. Doch der Rum schmeckte nicht, und seine Hände bebten noch immer wie Espenlaub im Sturm.
    An Deck gackerte das Huhn in seinem Stall. Es war das letzte von zehn Artgenossen, die anderen waren bereits im Suppentopf gelandet. Das kam noch dazu, er musste in Loanda Proviant auftreiben, vielleicht eins der kleinen Schweine, die in den Eingeborenendörfern herumliefen.
    Wochenlang schon wechselten sich zerkochtes Huhn und fader Fisch auf dem Speiseplan ab. Es hing ihm zum Hals heraus. Schwein würde eine nette Abwechslung darstellen. Einen Moment schwelgte er in der Vorstellung von Schweinskeule mit krosser Haut, Klößen und Kraut. Nicht verdammt wahrscheinlich! Die Haut würde

Weitere Kostenlose Bücher