1 - Schatten im Wasser
und einem ausgehöhlten Kuhhorn vor sein Lager. Johann sah ihn fragend an.
»Isinqe«, sagte der Inyanga und grinste breit.
Als ihm klar wurde, was der Mann meinte, wäre er vor Scham am liebsten in den Boden versunken. Er wollte aufspringen, aber die beiden kräftigen Frauen hielten ihn einfach fest, während der Inyanga das spitze Ende des Kuhhorns zwischen seine Gesäßbacken tief in seinen Darm schob und die Flüssigkeit hineingoss.
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»Das Beste gegen Schmerzen und gebrochene Knochen«, erklärte der mit Perlen behängte Inyanga.
Ob der Einlauf geholfen hatte oder ob es seine Entschlossenheit war, nicht noch einmal diese erniedrigende Prozedur über sich ergehen zu lassen, konnte er nicht beurteilen, aber er genas daraufhin in Windeseile.
Er verließ seine Retter beladen mit Geschenken. Milch, Fleisch, Maisbrei, alles, was er zum Überleben in der ersten Zeit brauchte. Ein Reittier hatte er nicht, Schuhe auch nicht, aber zum Glück hatte ihm der Bandit seine Hose gelassen, und erleichtert fühlte er die Goldnuggets und den Ring in seinem Gürtel. Doch der kleine Schatz half ihm gar nichts auf seinem wochenlangen Fußmarsch über endlose Hügel, durch krokodilverseuchte Flüsse und undurchdringliches Dornenge- strüpp, während er die Nächte auf Bäumen verbringen musste, um sich vor Raubkatzen, Elefanten und Hyänen zu schützen, und am Tag, voller Furcht vor weiteren Überfällen, die Wildpfade mied und sich stattdessen durch den Busch kämpfte. Da er die Lage des Dorfes seiner Retter nicht genau bestimmen konnte, hielt er es nicht für ausgeschlossen, dass er lange im Kreis gelaufen war.
Er erreichte Inqaba mit blutig geschundenen Füßen, tiefbraun gebrannt, zu einem Knochengespenst abgemagert und erschöpft bis ins Mark, aber in tiefster Seele dankbar. Er fiel vor seiner Hütte, die er und Sicelo nach Zuluart aus einem Gerüst aus weichen Schösslingen und Lagen von Grasmatten errichtet hatten, auf die Knie und weinte. Als er sich wieder aufrichtete, stand Sicelo vor ihm. Mit ungläubiger Miene streckte der Zulu die Hand aus und berührte vorsichtig das Gesicht seines Freundes. Dann erleuchtete langsam ein schneeweißes Lächeln seine Züge.
»Meine Sinne sind nicht verwirrt. Du bist von unseren Ahnen zurückgekehrt«, flüsterte er. »Eh, Nkosi! Mein Herz wird leicht.« Dann drehte er sich um und entfernte einen dornigen Zweig mit kleinen, bereits vertrockneten Blättern, der über dem Eingang hing. »Mit diesem Zweig brachte ich deine Seele zurück in dein Haus, wie die Ahnen es verlangen, wenn ein Mann weit ent
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fernt von seiner Heimat stirbt. Doch er vertrocknete schon am ersten Tag.
Ich konnte dieses Zeichen nicht deuten, nun weiß ich, dass deine Seele dich nie verlassen hat.«
Johann nahm ihn schweigend in die Arme, etwas, was er noch nie vorher getan hatte, und der hoch gewachsene Zulu erwiderte seine Umarmung. Als sie sich voneinander gelöst hatten, aßen sie zusammen, dann schlief Johann rund um die Uhr, und danach begannen sie gemeinsam, den Grundstein für Johanns Haus zu legen.
Später, als sein Haus fertig war und der Schrank darin stand, versteckte er die Goldklumpen und den Ring in dem Geheimfach. Überzeugt davon, dass sein Fund nur einen Bruchteil eines größeren Schatzes darstellte, versuchte er immer wieder, den Lageplan aus dem Gedächtnis aufzuzeichnen. Der Fluss, in dem er das Gold gefunden hatte, war namenlos, der runde, mit Buschgrün überwucherte Hügel, den er sich als Erkennungszeichen gemerkt hatte, sah aus wie alle Hügel in diesem Teil Afrikas. Irgendwann gab er auf, aber das Rätsel hörte nie auf, ihn zu beschäftigen.
Jetzt war es an der Zeit, die Nuggets hervorzuholen und sie nach Durban zu Isaac zu bringen, der in seinem vorigen Leben Goldschmied gewesen war, damit der ihm zwei Eheringe daraus schmieden konnte.
Pfeifend schüttete er alles zurück ins Leder- säckchen und befestigte es an seinem Gürtel. Die passende Frau zu dem Ring würde er in Kapstadt finden.
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KAPITEL 4
Völlig ausgehungert, unter notdürftig geflickten Segeln, liefen sie bei strahlendem Wetter in die weite Tafelbucht und in den Hafen von Kapstadt ein. Die gesamte Mannschaft war an Deck der Carina erschienen.
Catherine und Wilma standen im Bug. Wilma war gelb im Gesicht und klapperdürr, und unter ihren Augen lagen dunkle Schatten, als hätte sie sich mit Ruß eingeschmiert. Trotzdem zeigte sie ein schwaches, erwartungsvolles Lächeln und richtete ihren Blick fest auf die
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