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1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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uns auf einer vorzüglichen asphaltierten Straße wieder. Vor uns funkelte die Spiegelfläche eines kleinen Sees, an dessen Ufer ein einstöckiges Ziegelhaus stand, von einem hohen Zaun umgeben.
    »Was mich an Tiermenschen wundert«, sagte Swetlana, »ist ihr Bedürfnis, sich abzuschotten. Nicht nur, dass sie sich mit einem Trugbild tarnt, sie umgibt sich auch noch mit einem Zaun.«
    »Tigerjunges ist keine Tierfrau!«, widersprach Julja. »Sie ist eine Verwandlungsmagierin!«
    »Das ist dasselbe«, sagte Sweta sanft.
    Julja sah Semjon an, von dem sie sich offenbar Hilfe erhoffte.
    »Im Grunde hat Sweta Recht«, seufzte der Magier. »Die hochspezialisierten Kampfmagier sind eigentlich Tiermenschen. Nur mit einem anderen Vorzeichen. Wenn Tigerjunges in anderer Verfassung gewesen wäre, als sie zum ersten Mal ins Zwielicht eingetreten ist, wäre sie zu einer Dunklen, einer Tierfrau geworden. Es gibt nur sehr wenig Menschen, bei denen all das vorab festgelegt ist. In der Regel findet ein Kampf statt. Die Vorbereitung auf die Initiierung.«
    »Und wie war es bei mir?«, fragte Julja.
    »Das hab ich dir doch schon erzählt«, brummte Semjon. »Ziemlich einfach.«
    »Eine leichte Remoralisation der Lehrkräfte und Eltern«, sagte Ilja aufgeräumt und parkte das Auto am Eingang. »Und schon begegnete das kleine Mädchen seiner Umgebung mit Liebe und Güte.«
    »Ilja!«, wies Semjon ihn zurecht. Er war Juljas Mentor, der sich als solcher ziemlich träge im Hintergrund hielt und kaum in die Entwicklung der jungen Zauberin einmischte. Doch dieser überflüssige Kommentar Iljas missfiel ihm nun doch.
    Julja war ein talentiertes Mädchen. Die Wache setzte ernstlich Hoffnung in sie. Das hieß aber längst nicht, dass man sie in dem Tempo durch das Labyrinth moralischer Kniffligkeiten jagte, wie das bei Swetlana geschah, der zukünftigen Großen Zauberin.
    Vermutlich hatten Sweta und ich diesen Gedanken gleichzeitig gehabt – wir schauten einander an. Schauten uns an und wandten gleichzeitig den Blick ab.
    Auf uns drückte eine unsichtbare Mauer, drängte uns in unterschiedliche Richtungen. Ich würde für alle Zeiten ein Magier dritten Grades sein. Swetlana würde über mich hinauswachsen, schon in kurzer – und nach den Plänen der Wache sehr kurzer – Zeit zu einer Zauberin außerhalb jeder Kategorie werden.
    Dann blieben uns nur noch ein freundschaftlicher Händedruck, wenn wir uns begegneten, und Postkarten zum Geburtstag und zu Weihnachten.
    »Schlafen die da alle, oder was?«, zeterte Ilja, der sich mit solchen Problemen nie lange aufhielt. Er lehnte sich aus dem Fenster – sofort wehte ins Auto heiße, wenn auch saubere Luft. Fuchtelte mit der Hand, blickte ins Objektiv der Kamera, die über dem Tor angebracht war. Hupte.
    Langsam ging das Tor auf.
    »Schon besser«, schnaubte der Magier, während er das Auto auf den Hof fuhr.
    Das Grundstück war groß und dicht mit Bäumen bepflanzt. Erstaunlich, wie die Villa errichtet werden konnte, ohne die gewaltigen Kiefern und Fichten zu beschädigen. Abgesehen von ein paar Blumen um einen abgestellten Springbrunnen herum gab es hier natürlich keine Pflanzenbeete. Auf einem betonierten Parkplatz vor dem Haus standen fünf Autos. Ich erkannte den alten Niwa, den Danila aus Patriotismus fuhr, und Olgas Sportwagen – wo war sie mit dem langgekommen, über freies Feld? Zwischen den beiden stand ein schäbiger Lieferwagen, den Tolik benutzte, sowie zwei weitere Autos, die ich schon vor dem Büro gesehen hatte, von denen ich aber nicht wusste, wem sie gehörten.
    »Die haben nicht auf uns gewartet«, empörte sich Ilja. »Hier geht’s schon heiß her, und alles amüsiert sich, während die besten Leute der Wache sich über die Dorfstraßen quälen.«
    Er stellte den Motor ab, und im selben Augenblick rief Julja begeistert aus: »Tigerjunges!«
    Indem sie ohne weiteres über mich hinübersprang, öffnete sie die Tür und hüpfte aus dem Auto.
    Semjon fluchte kurz und folgte ihr mit einer unmerklichen Bewegung. Gerade noch rechtzeitig.
    Wo sich die Hunde versteckt hatten, war mir ein Rätsel. Auf alle Fälle hatten sie sich nicht demaskiert, bis Julja das Auto verließ. Sobald ihre Beine den Boden berührten, stürmten jedoch von allen Seiten lautlos strohgelbe Schatten auf sie ein.
    Das Mädchen heulte auf. Ihre Fähigkeiten hätten gereicht, um mit einem Wolfsrudel fertig zu werden, von fünf oder sechs Hunden ganz zu schweigen. Bisher hatte sie sich allerdings noch nie in einer

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