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1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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die Wellen betrachtet habe, die ans Ufer schlagen.«
    »Du bluffst.«
    »Nein. Olga, was steht Sweta bevor? Welche Phase der Ausbildung?«
    Die Zauberin sah mich an, vergaß das kalt gewordene Schaschlik und das halb leere Glas. Ich schlug noch einmal zu. »Du hast diese Phase doch auch durchlaufen?«
    »Ja.« Offensichtlich wollte sie nicht länger die Schweigende spielen. »Das habe ich. Aber für meine Vorbereitung stand mehr Zeit zur Verfügung.«
    »Warum überstürzt man bei Sweta alles so?«
    »Niemand hat damit gerechnet, dass in diesem Jahrhundert noch eine Große Zauberin geboren wird. Geser musste improvisieren, mitten im Spiel alles umorganisieren.«
    »Hast du deshalb deine frühere Gestalt zurückbekommen? Nicht nur wegen deiner guten Arbeit?«
    »Du weißt doch schon alles!« Olgas Augen funkelten hässlich. »Was quälst du mich da?«
    »Beaufsichtigst du ihre Vorbereitung? Ausgehend von deinen Erfahrungen?«
    »Ja. Bist du jetzt zufrieden?«
    »Olga, wir stehen auf derselben Seite der Barrikade«, flüsterte ich.
    »Dann setz gegen deine Gefährten nicht die Ellenbogen ein.«
    »Welches Ziel hat das Ganze, Olga? Was hast du nicht fertig gebracht? Was muss Sweta tun?«
    »Du …« Sie wirkte völlig aufgelöst. »Hast du also doch geblufft, Anton!«
    Ich schwieg.
    »Du weißt überhaupt nichts! Die Kreise im Wasser sagen dir nichts, du weißt gar nicht, wohin du schauen musst, um sie zu sehen!«
    »Möglich. Aber im Großen und Ganzen liege ich richtig?«
    Olga sah mich an, biss sich auf die Lippen.
    »Ja«, meinte sie kopfschüttelnd. »Eine klare Frage, eine klare Antwort. Aber ich werde dir nichts erklären. Du darfst das nicht wissen. Das geht dich nichts an.«
    »Da irrst du dich.«
    »Niemand von uns will Sweta etwas Böses«, entgegnete Olga scharf. »Ist das klar?«
    »Wir können sowieso niemandem etwas Böses wünschen. Nur unterscheidet sich unser Gutes manchmal in keiner Weise vom Bösen.«
    »Beenden wir dieses Gespräch, Anton. Ich habe nicht das Recht, dir auf deine Fragen zu antworten. Und wir wollen den andern doch nicht diese unerwarteten freien Tage verderben.«
    »Wie unerwartet sind die denn wirklich?«, fragte ich einschmeichelnd. »Olga?«
    Sie hatte sich bereits wieder gefasst, ihre Miene war undurchdringlich. Zu undurchdringlich für solch eine Frage.
    »Du hast auch so schon genug erfahren.« Ihre Stimme hob sich, gewann die frühere Entschlossenheit zurück.
    »Man hat uns noch nie alle zusammen in Urlaub geschickt, Olga. Nicht mal auf einen Tagesausflug. Warum wollte Geser die Lichten aus der Stadt raushaben?«
    »Nicht alle.«
    »Polina Wassiljewna und Andrej zählen nicht. Du weißt ganz genau, dass sie das Büro nie verlassen. In Moskau ist kein einziger Wächter zurückgeblieben!«
    »Die Dunklen verhalten sich doch auch ruhig.«
    »Ja und?«
    »Es reicht, Anton.«
    Mir war klar, dass ich kein weiteres Wort aus ihr herausbekommen würde. »Gut, Olga«, lenkte ich ein. »Vor einem halben Jahr waren wir gleichberechtigt, wenn auch vielleicht nur zufällig. Das hat sich jetzt offenbar geändert. Entschuldige. Das sind nicht meine Probleme, fällt nicht in meine Zuständigkeit.«
    Olga nickte. Das kam so überraschend, dass ich meinen Augen nicht traute.
    »Endlich hast du’s kapiert.«
    Machte sie sich über mich lustig? Oder glaubte sie wirklich, dass ich mich nicht weiter einmischen würde?
    »Schließlich bin ich nicht auf den Kopf gefallen«, meinte ich. Ich sah zu Swetlana hinüber, die mit Tolik scherzte.
    »Du nimmst mir das nicht übel?«, fragte Olga.
    Ich berührte ihre Hand, lächelte und ging ins Haus zurück. Ich wollte etwas tun. Unbedingt. Als sei ich ein Dschinn, der nach tausendjähriger Gefangenschaft seiner Flasche entströmt. Irgendetwas: Paläste bauen, Städte zerstören, ein Programm in Basic schreiben oder eine Kreuzsticharbeit anfertigen.
    Ich öffnete die Tür, ohne sie anzufassen, stieß sie durchs Zwielicht auf. Warum, weiß ich nicht. So was passiert mir selten, manchmal, wenn ich besoffen, manchmal, wenn ich stinkwütend bin. Der erste Grund kam nicht in Frage.
    Im Wohnzimmer war niemand. Warum sollte man auch drinnen sitzen, wenn draußen Schaschlik gegrillt wurde, es kalten Wein und genügend Liegestühle unter den Bäumen gab?
    Ich ließ mich in einen Sessel fallen. Schnappte mir mein – oder Swetas – Glas vom Tisch und goss mir Kognak ein. Trank auf Ex, als sei das kein fünfzehn Jahre alter Prasdnitschny, sondern billiger Wodka.

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