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1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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ich auch, er taucht nie wieder auf.«
    »Dreißig Jahre Unterwassersport«, murmelte ich missmutig.
    »Vierzig … Ich geh jetzt, Anton. Wie kommst du rauf? Mit dem Fahrstuhl?«
    »Ja.«
    »Also dann … trödel nicht.«
    Er wechselte ins Zwielicht über und rannte Semjon hinterher. Vermutlich würden sie unterschiedliche Wände erklimmen, aber ich hatte nicht die Absicht herauszubekommen, wer über welche Fassade nach oben gelangte. Auf mich wartete mein eigener Weg, der auch nicht leichter sein dürfte.
    »Warum musstest du mich bloß treffen, Chef …«, flüsterte ich, während ich zum Hauseingang sprintete. Der Schnee knirschte unter den Füßen, in den Ohren pulsierte das Blut. Im Laufen zog ich die Pistole aus der Tasche und entsicherte sie. Acht silberne Dumdumgeschosse. Das sollte reichen. Wenn ich nur treffe. Wenn ich nur den Moment abpasse, in dem ich eine Chance habe zu treffen, um der Vampirin zuvorzukommen, ohne den Jungen dabei zu verletzen.
    Früher oder später wären wir dir sowieso begegnet, Anton. Wenn nicht wir, dann die Tagwache. Sie hatten ebenfalls alle Chancen, dich zu bekommen.
    Mich wunderte gar nicht, dass er mich beobachtete. Erstens ging es um eine ernste Angelegenheit. Zweitens ist und bleibt er mein Hauptmentor.
    Boris Ignatjewitsch, wenn … Ich machte die Jacke auf und steckte die Pistole im Rücken hinter den Gürtel. Was Swetlana angeht …
    Wir haben ihre Mutter gründlich überprüft, Anton. Nichts. Sie ist nicht imstande, einen Fluch zu verhängen. Sie hat überhaupt keine Fähigkeiten.
    Nein, ich wollte auf etwas anderes hinaus. Boris Ignatjewitsch … Ich habe nachgedacht. Ich habe sie nicht bedauert.
    Und was heißt das?
    Ich weiß es nicht. Aber ich habe sie nicht bedauert. Und auch keine Komplimente gemacht. Mich nicht gerechtfertigt.
    Verstehe.
    Und jetzt … verschwinden Sie bitte. Das hier ist meine Sache.
    Gut. Entschuldige, dass ich dich ins Feld geschickt habe. Viel Glück, Anton.
    Ich konnte mich nicht entsinnen, dass sich der Chef jemals bei irgendwem entschuldigt hätte. Doch mir blieb keine Zeit mehr, darüber zu staunen, da der Aufzug endlich kam.
    Ich drückte den Knopf für den obersten Stock und griff automatisch nach den an einer Schnur hängenden Knöpfen der Kopfhörer.
    Seltsam, die Musik lief schon. Wann hatte ich denn den MD-Player eingestellt?
    Und was spuckt der Zufall für mich aus?
     
Alles findet sich hernach.
    Für die einen ist er nichts, 
    Doch für mich ist er der Zar.
    Und ich steh in Dunkelheit, 
    Für die einen wie ein Schatten, 
    Für die andern unsichtbar. 
     
    Ich vergöttere Piknik. Ob man Schkljarski mal daraufhin überprüft hat, ob er zu den Anderen gehört? Es könnte sich lohnen … Oder lieber doch nicht. Besser, er singt einfach.
     
Ja, ich tanze nicht im Takt, 
    Hab’s nicht richtig angepackt, 
    Hab mich auch nicht drum bemüht.
    Und ich gleich dem Regen jetzt, 
    Der den Boden noch nicht netzt, 
    Einer Blume, die nicht blüht.
    Ich, ich, ich bin unsichtbar.
    Ich, ich, ich bin unsichtbar.
    Die Gesichter sind wie Rauch, 
    Die Gesichter sind wie Rauch, 
    Wie wir siegen, das wird nie all den andern klar. 
     
    Ob man die letzte Zeile als gutes Vorzeichen verstehen konnte?
    Der Fahrstuhl hielt an.
    Nachdem ich auf den Treppenabsatz des letzten Stocks hinausgehuscht war, entdeckte ich eine Luke in der Decke. Das Schloss war abgerissen, und zwar tatsächlich abgerissen – der Bügel baumelte eingedrückt und auseinander gebogen in der Luft. Die Vampirin dürfte damit wohl nichts zu tun haben, sie war vermutlich aufs Dach geflogen. Der Junge hatte den Weg über die Balkons gewählt.
    Blieben Tigerjunges oder Bär. Höchstwahrscheinlich Bär; Tigerjunges hätte die Luke herausgerissen.
    Ich zog die Jacke aus und ließ sie zusammen mit dem säuselnden MD-Player auf den Boden fallen. Ich berührte die Pistole im Rücken – sie steckte fest. Technik sollte Blödsinn sein? Warten wir’s ab, Olga, warten wir’s ab.
    Ich warf meinen Schatten nach oben, projizierte ihn in die Luft. Ich streckte mich und schlüpfte mit einem Ruck in ihn hinein. Im Zwielicht stieg ich die Leiter zum Dach hinauf. Das blaue Moos, das dicht auf den Eisenstangen wucherte, federte unter meine Fingern und versuchte wegzukriechen.
    »Anton!«
    Ich stürzte aufs Dach und krümmte mich sofort: Was hier für ein Wind wehte. Ein lautloser, böiger, eisiger Wind. Ebenso Nachhall aus der Menschenwelt wie Marotte des Zwielichts. Noch schützte mich der auf dem

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