1 - Wächter der Nacht
Dämon an und schüttelte den Kopf. »Sebulon … du hast keine Macht mehr über mich.«
Der Dämon brüllte auf und kam auf mich zu. Macht hatte er keine mehr – aber Kraft im Übermaß.
»Aber, aber …«, sagte Ilja im Ton eines Oberlehrers.
Eine lodernde weiße Wand zerschnitt die Fläche zwischen uns. Sebulon heulte auf, denn er rannte gegen die magische Barriere, ein Gewebe aus reinstem weißen Licht, das ihn zurückwarf. Mit einer komischen Geste schüttelte er die verbrannten Pfoten und sah dabei eher albern als furchteinflößend aus.
»Ein Mehrzüger?«, sagte ich. »Ganz einfach, ja?«
Alles auf dem Dach verstummte. Tigerjunges und die Hexe Alissa standen nebeneinander und versuchten nicht mehr, übereinander herzufallen. Semjon schaute abwechselnd Ilja und mich an, und es ließ sich nicht sagen, wer von uns beiden ihn mehr zum Staunen brachte. Die Blutsaugerin weinte leise vor sich hin und versuchte aufzustehen. Ihr ging es schlechter als den anderen, sie hatte ihre ganze Kraft geopfert, um den Kampf mit Bär zu überleben, und setzte nun alles daran, sich zu regenerieren. Mit unsagbarer Mühe tauchte sie aus dem Zwielicht auf und verwandelte sich in eine verschwommene Silhouette.
Sogar der Wind schien sich plötzlich zu legen …
»Wie macht man einen Menschen zum Dunklen Magier, der von Grund auf rein ist?«, fragte ich. »Wie zieht man einen Menschen auf die Seite des Dunkels, der nicht hassen kann? Man kann überall Schwierigkeiten vor ihm aufbauen – nach und nach, immer wieder, in der Hoffnung, dass er böse wird … Aber das bringt nichts. Als zu rein erweist sich dieser Mensch … diese Frau.«
Ilja lachte leise zustimmend auf.
»Das Einzige, was sie hassen kann …« Ich sah Sebulon in die Augen, in denen nur noch eine machtlose Bosheit zu lesen war. »… ist sie selbst. Und da nun dieser überraschende Zug. Ein ungewöhnlicher. Man lässt ihre Mutter krank werden. Soll sich das Mädchen doch die Seele zermartern, sich für ihre Schwäche und Hilflosigkeit verachten. Hauptsache, wir treiben sie so in die Ecke, dass sie nur noch hassen kann, wenn auch nur sich selbst, aber immerhin: hassen. Freilich gibt es da eine Wahrscheinlichkeitsverzweigung. Die kleine Chance, dass ein einziger Mitarbeiter der Nachtwache, der mit der operativen Arbeit nicht richtig vertraut ist …«
Die Beine knickten mir weg – ich bin wirklich nicht daran gewöhnt, so lange im Zwielicht zu bleiben. Ich wär vor Sebulon auf die Knie gefallen, was ich um keinen Preis wollte. Doch Semjon schlitterte durchs Zwielicht zu mir und packte mich bei den Schultern. Vermutlich macht er so was schon seit hundertfünfzig Jahren.
»Der mit dem Außendienst nicht vertraut ist …«, wiederholte ich. »Der weicht einfach so vom üblichen Schema ab. Weder bedauert noch tröstet er die Frau, für die Mitleid tödlich wäre. Also muss man ihn von dem Objekt abziehen. Eine Situation schaffen, die ihm keine ruhige Minute lässt. Damit er für eine zweitrangige Sache eingesetzt wird, und ihn noch dazu durch persönliche Verantwortung oder Sympathie an diese Aufgabe binden – mit allem, was sich irgend anbietet. Dafür kann man auch schon mal einen einfachen Vampir opfern. Nicht wahr?«
Sebulon begann sich zurückzuverwandeln. Rasch nahm er sein früheres Aussehen eines bescheidenen Intelligenzlers an.
Komisch. Wozu das? Ich habe gesehen, wozu er im Zwielicht geworden ist, ein für alle Mal geworden ist.
»Eine mehrzügige Kombination«, wiederholte ich. »Ich könnte schwören, dass Swetlanas Mutter durchaus nicht an einer tödlichen Krankheit sterben muss. Da habt ihr ein bisschen nachgeholfen, im Rahmen des Erlaubten natürlich … Aber dann haben auch wir unsere Rechte.«
»Sie gehört uns!«, sagte Sebulon.
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Es wird keinen Durchbruch des Infernos geben. Ihre Mutter wird wieder gesund werden. Ich fahre jetzt zu Swetlana … und erzähle ihr alles. Die Frau kommt zur Nachtwache. Ihr habt verloren, Sebulon. So oder so verloren.«
Die über dem Dach verteilten Kleiderfetzen krochen auf den Dunklen Magier zu, wuchsen zusammen, sprangen hoch und hüllten ihn ein, den traurigen, charmanten Mann, der voller Kummer war über die Welt.
»Niemand von euch wird von hier weggehen«, sagte Sebulon. Hinter ihm wölkte das Dunkel auf, als spanne es zwei riesige schwarze Flügel.
Ilja lachte erneut.
»Ich bin stärker als ihr alle.« Sebulon schielte zu Ilja hinüber. »Deine geborgten Kräfte
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