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1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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unmittelbar nach dem Mord, müsste die Magie irgendeinen Abdruck an ihm hinterlassen haben. Das ist eine Chance, eine kleine nur, aber immerhin. An die Arbeit.«
    »Mit welchem Ziel, Boris?«, fragte Semjon neugierig.
    Ein paar waren schon aufgestanden, blieben daraufhin aber noch.
    »Das Ziel ist es, den Wilden vor den Dunklen zu finden. Ihn zu verteidigen, auszubilden und auf unsere Seite zu ziehen. Wie immer.«
    »Alles klar.« Semjon erhob sich.
    »Anton und Olga, ihr beide bleibt bitte noch«, meinte der Chef knapp und trat ans Fenster.
    Alle anderen guckten mich beim Herausgehen neugierig an. Und auch ein bisschen neidisch. Eine Spezialaufgabe ist immer interessant. Ich schaute durch den Raum, erblickte Olga und lächelte ihr zu, aber nur mit den Lippen. Sie lächelte zurück.
    Nichts an ihr erinnerte mehr an die barfüßige, verdreckte Frau, die im tiefsten Winter bei mir in der Küche Kognak getrunken hatte. Eine schicke Frisur, eine gesunde Hautfarbe, in den Augen – nein, die Selbstsicherheit hatte auch schon früher in ihnen gelegen, nicht aber die Koketterie und der Stolz, die jetzt in ihnen funkelten.
    Ihre Strafe hatte man aufgehoben. Wenn auch nur teilweise.
    »Mir gefällt nicht, was hier passiert, Anton«, sagte der Chef, ohne sich umzudrehen.
    Olga zuckte mit den Schultern und nickte – antworte du.
    »Wie meinen Sie das, Boris Ignatjewitsch?«
    »Mir gefällt der Protest nicht, den die Tagwache eingereicht hat.«
    »Mir auch nicht.«
    »Du verstehst das nicht. So wenig wie alle anderen, fürchte ich … Olga, ahnst wenigstens du, worum es geht?«
    »Es ist höchst merkwürdig, dass die Tagwache im Laufe von ein paar Jahren nicht in der Lage ist, den Mörder zu finden.«
    »Nicht wahr? Erinnerst du dich an Krakau?«
    »Leider. Glaubst du, sie stellen uns eine Falle?«
    »Ausgeschlossen ist es nicht …« Boris Ignatjewitsch trat vom Fenster weg. »Anton, hältst du diese Entwicklung für möglich?«
    »Ich verstehe das noch nicht ganz«, murmelte ich.
    »Anton, nehmen wir einmal an, in der Stadt lebt tatsächlich ein mordender Einzelgänger, unser Wilder. Er ist nicht initiiert. Ab und an brechen sich seine Fähigkeiten Bahn – dann macht er einen Dunklen aus und vernichtet ihn. Kann die Tagwache ihn finden? O ja, das könnte sie, davon kannst du ausgehen. Damit stellt sich die Frage, warum sie ihn noch nicht entdeckt und aus dem Verkehr gezogen hat? Schließlich sterben hier Dunkle!«
    »Es stirbt nur Fußvolk«, gab ich zu bedenken.
    »Richtig. Die Bauern zu opfern gehört zur Tradition …« Der Chef hielt inne, als er meinen Blick auffing. »Zur Tradition der Wache.«
    »Der Wachen«, sagte ich rachsüchtig.
    »Der Wachen«, wiederholte der Chef müde. »Ich habe es nicht vergessen … Machen wir uns doch mal klar, was sich aus unseren bisherigen Überlegungen ergibt. Soll die gesamte Nachtwache der Fahrlässigkeit angeklagt werden? Das wäre lächerlich. Wir haben das Verhalten der Dunklen zu kontrollieren und darauf zu achten, dass die uns bekannten Lichten den Vertrag einhalten, müssen aber nicht irgendwelche geheimnisvollen Verrückten aufspüren. Hier trägt allein die Tagwache die Schuld …«
    »Die Provokation zielt also auf jemanden Konkretes?«
    »Sehr schön, Anton. Weißt du noch, was Julja gesagt hat? Diejenigen von uns, die so etwas hätten machen können, kannst du an einer Hand abzählen. Das ist bewiesen. Nehmen wir einmal an, die Tagwache möchte jemanden der Verletzung des Vertrags anklagen. Behauptet, dass ein fester Mitarbeiter, der den Vertrag genau kennt, Gericht spielt und auf eigene Faust mit den Dunklen abrechnet.«
    »Aber das lässt sich doch leicht von der Hand weisen. Man braucht nur den Wilden zu finden …«
    »Und wenn die Dunklen ihn vor uns finden? Darüber aber kein Wörtchen verlauten lassen?«
    »Was ist mit einem Alibi?«
    »Und wenn die Morde immer in Zeiten stattfanden, für die es kein Alibi gibt?«
    »Dann kommt es zum Tribunal mit uneingeschränktem Verhör«, sagte ich finster. Sicher, es ist keine schöne Sache, wenn im Bewusstsein das Unterste zuoberst gekehrt wird.
    »Ein starker Magier, und die Morde wurden von einem starken Magier begangen, kann sich selbst dem Tribunal verschließen. Er kann es nicht täuschen, aber sich verschließen. Mehr noch, Anton, bei einem Tribunal, an dem auch Dunkle teilnehmen, muss er das sogar. Der Feind gelangt sonst an zu viel Informationen. Aber ein Magier, der sich bei den Ermittlungen verschließt, gilt

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