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1 - Wächter der Nacht

1 - Wächter der Nacht

Titel: 1 - Wächter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Genauer gesagt, eine alte Falle, die er noch in petto hatte, entsprechend umzubauen.«
    Ich schluckte und verließ den Raum, ohne eine weitere Frage zu stellen.
    Unser Labor befindet sich ebenfalls im dritten Stock, jedoch in einem anderen Flügel. Schnellen Schrittes lief ich den Korridor hinunter, nickte allen, die mir entgegenkamen, zu, blieb aber bei niemandem stehen. Die Scheibe hielt ich fester als ein entflammter Teenager die Hand seiner Angebeteten.
    Der Chef hatte mich doch nicht belogen?
    Konnte dieser Schlag auf mich zielen?
    Bestimmt hatte er nicht gelogen. Ich hatte ihm eine klare Frage gestellt und eine klare Antwort bekommen. Gewiss, im Laufe der Jahre legen sich auch die Lichtesten Magier einen gewissen Zynismus zu und lernen es, mit Worten zu jonglieren. Doch die Folgen einer offenen Lüge wären selbst für Boris Ignatjewitsch zu heftig.
    Der Vorraum war mit einem elektronischen Überwachungssystem ausgestattet. Ich weiß, dass sich alle Magier über Technik lustig machen, und Semjon hatte mir sogar mal gezeigt, wie leicht sich ein Stimmenanalysator und ein Netzhautscanner täuschen lassen. Trotzdem hatte ich auf dem Kauf dieses teuren Spielzeugs bestanden. Selbst wenn es uns nicht gegen einen Anderen schützte. Doch ich hielt es keineswegs für ausgeschlossen, dass uns die Jungs vom Föderativen Sicherheitsdienst oder von der Mafia irgendwann mal auf den Zahn fühlen wollten.
    »Eins, zwei, drei, vier, fünf …«, murmelte ich ins Mikrofon, während ich ins Objektiv der Kamera schaute. Die Elektronik brauchte ein paar Sekunden, dann leuchtete über der Tür das grüne Zutrittslämpchen auf.
    Im ersten Zimmer herrschte gähnende Leere. Die Ventilatoren des Servers brummten, die in die Wände eingelassenen Klimaanlagen schnauften. Trotzdem war es heiß. Dabei hatte der Frühling gerade erst angefangen.
    Ohne ins Labor der Sysops hineinzuschauen, ging ich gleich in mein eigenes Büro. Nun, nicht ganz mein eigenes – mein Stellvertreter Tolik hauste dort ebenfalls. Bisweilen sogar im wörtlichen Sinne, denn oft genug übernachtete er auf dem alten Ledersofa.
    Jetzt saß er am Schreibtisch und betrachtete nachdenklich ein altes Motherboard.
    »Hallo«, sagte ich und ließ mich aufs Sofa plumpsen. Die Scheibe brannte mir in den Fingern.
    »Die ist hinüber«, grummelte Tolik.
    »Dann schmeiß sie weg.«
    »Gleich, ich nehm nur die Prozessoren heraus …« In den langen Jahren, die Tolik an durch mickrige Staatsgelder finanzierten Forschungsinstituten verbracht hatte, war er zu einem eifrigen Anhänger der Vorratshaltung geworden. Und obwohl uns keine Finanzprobleme plagten, sammelte er sorgsam alle alten Computerelemente, auch wenn diese niemandem mehr nützten. »Stell dir vor, eine halbe Stunde schlag ich mich mit dem Ding schon rum, aber gebracht hat es nichts …«
    »Es ist uralt, was willst du? Selbst in der Buchhaltung sind die Geräte neuer.«
    »Man könnten es jemandem geben … Vielleicht könnte man den Cache ausbauen …«
    »Tolik, wir haben einen Eilauftrag«, sagte ich.
    »Ach?«
    »Hm. Also …« Ich hielt die Scheibe hoch. »Hier sind die Dossiers … die vollständigen Dossiers von vier Mitarbeitern der Wache. Einschließlich des Chefs.«
    Tolik zog die Schublade seines Schreibtischs auf, verstaute das Motherboard und richtete den Blick auf die DVD.
    »Ganz genau. Ich werde drei überprüfen. Du den vierten – mich.«
    »Und was soll ich überprüfen?«
    »Folgendes.« Ich zeigte ihm den Ausdruck. »Es ist nicht auszuschließen, dass einer der Verdächtigen immer wieder Morde an Dunklen verübt hat. Nicht sanktionierte Morde. Hier sind alle uns bekannten Fälle aufgeführt. Wir sollen diese Möglichkeit ausschließen oder …«
    »Und hast du sie denn ermordet?«, wollte Tolik wissen. »Entschuldige die Bosheit …«
    »Nein. Aber du sollst mir nicht glauben. Also an die Arbeit.«
    Die Informationen über mich schaute ich mir gar nicht erst an. Ich kopierte alle achthundert Megabyte auf Toliks Computer und nahm die Scheibe wieder an mich.
    »Wenn ich auf was Interessantes stoße, soll ich’s dir dann sagen?«, fragte Tolik. Ich schielte zu ihm hinüber, während er sich die Textdateien ansah, an seinem linken Ohr fummelte und die Maus gleichmäßig hin und her bewegte. »Wie du willst.«
    »Gut.«
    Ich fing mit dem Dossier an, in dem das Material über den Chef gesammelt war. Zunächst kam der Formularkopf mit allgemeinen Angaben zur Person. Mit jeder gelesenen Zeile strömte mir

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