10 - Das Kloster Der Toten Seelen
dem hohen Bug des feindlichen Schiffes und der Längsseite des sächsischen lagen, drehte das rote Drachenschiff ab, machte, immer noch in voller Fahrt, eine vollständige Kehrtwendung und entfernte sich rasch von den Hwicce. Wieder vernahm Eadulf laute Rufe, dann sah er, wie von den Britanniern ein paar Brandfackeln auf das Deck der Sachsen geworfen wurden, wo an mehreren Stellen Flammen aufloderten, die aber sofort von Osrics Leuten gelöscht wurden.
Eadulf verstand nun gar nichts mehr. Er hatte erwartet, daß ein Pfeilhagel aus den Bögen niederprasseln würde, die die Britannier so gern verwendeten, oder daß sie, bewaffnet mit Schwertern und Schilden, das Schiff entern würden. Doch die Welisc entfernten sich geschwind; der Steuermann kannte sich offenbar mit den Strömungen in dieser Bucht gut aus. Ehe das Schiff ganz verschwand, nahm Eadulf jedoch noch wahr, wie wiederholt etwas vom Heck ins Wasser geschleudert wurde. Selbst aus dieser Entfernung ließ sich erkennnen, daß es sich um Menschen handelte. Und die Art, wie sie ins Wasser plumpsten und darauf trieben, deutete darauf hin, daß sie allesamt tot waren.
Eadulf wartete eine ganze Weile, denn er meinte, das Schiff würde sich noch einmal zeigen. Als das nicht der Fall war, beschloß er, hinunter an den Strand zu laufen.
Die Sachsen waren wieder bei der Arbeit und richteten gerade den neuen Mast auf. Er hörte Rufe von Wachposten und sah jemanden in seine Richtung weisen, als er den Strand erreichte. Zwei angeschwemmte Leichen lagen im seichten Wasser, mit dem Gesicht nach unten. Sie bewegten sich sanft mit den Wellen hin und her.
Man hatte ihn offenbar wiedererkannt, denn Osric und zwei seiner Krieger kletterten in ein Boot und ruderten auf die Küste zu.
Eadulf ging zur nächstliegenden Leiche.
Es handelte sich um einen jungen Mann in wollener brauner Mönchskutte. Er trug die Tonsur des heiligen Johannes; dieser Haarschnitt wurde von den Mönchen der Britannier als auch von denen der fünf Königreiche von Éireann bevorzugt. Der Mann war offensichtlich noch nicht lange tot. Vielleicht hatte man ihn erst umgebracht, kurz bevor man ihn über Bord warf. Die Wunde – man hatte ihm die Kehle durchgeschnitten – blutete noch.
Eadulf packte die Leiche an den Schultern und zog sie aus dem seichten Wasser auf die Kieselsteine am Ufer. Vom linken Arm des Mannes hing etwas herab, ein Stück Stoff, auf das eines der Symbole eingestickt war, welches von heidnischen Angelsachsen immer noch verehrt wurde. Eadulf erkannte es auf der Stelle als ein Symbol der Hwicce.
Nun hörte er knirschende Schritte auf dem Kieselstrand und blickte hoch. Osric eilte auf ihn zu. Seine beiden Krieger bewachten das kleine Boot, jeden Moment bereit, es bei Gefahr sofort ins Wasser zu schieben und zu ihrem Schiff zu rudern.
»Hast du irgend etwas damit zu tun?« fragte Osric Eadulf wütend und deutete auf die Landspitze, hinter der das feindliche Schiff verschwunden war. Er hatte das Schwert gezogen. »Du hast behauptet, daß sich keine Krieger der Welisc in der Nähe aufhalten.«
»So ist es«, sagte Eadulf. »Mich hat das Auftauchen dieses Schiffes ebenso überrascht wie dich.« Er zeigte auf den Toten. »Hast du irgend etwas damit zu tun?«
»Du hast doch auch gesehen, wie die Welisc die Leichen von Bord geworfen haben, oder? Warum sollte ich etwas damit zu schaffen haben?« erwiderte Osric.
»Schau dir mal den Fetzen an, der um den Arm des Mannes gewickelt ist.«
Osric beugte sich vor. »Beim Blute Wotans!« fluchte er. Dann schaute er Eadulf an. »Was hat das zu bedeuten?«
»Das bedeutet«, antwortete Eadulf ruhig, »daß jeder, der sich die Leichen genauer ansieht, vermuten wird, daß sie von der Hand der Hwicce starben.«
Osric schwieg. Eadulf ging zu dem anderen Toten, der im flachen Wasser trieb, und zog ihn ebenfalls an Land. Auch er war ein Mönch, nicht so jung wie der erste. Tief in seinem Rücken steckte ein Dolch der Hwicce. Er ließ ein Stöhnen hören.
» Deus miseretur! « rief Eadulf und neigte sich zu ihm herunter. »Der ist noch am Leben.«
Osric trat heran und hockte sich neben Eadulf. »Nicht mehr lange, mein Freund«, murmelte er. »Ich habe solche Verletzungen schon des öfteren gesehen, die überlebt keiner. Halt!« Eadulf wollte gerade den Dolch aus dem Rücken des Mönchs ziehen. »Wenn du ihn herausziehst, stirbt er gleich. Drehe den armen Kerl ein wenig, vielleicht sagt er noch etwas.«
Eadulf lagerte den Mann vorsichtig auf die
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