10 - Das Kloster Der Toten Seelen
nicht. Sag uns, wer du bist und warum du es wagst, das Gesetz dieses Landes zu mißachten.«
Der junge Mann war einigermaßen erstaunt, daß eine so hübsche junge Frau keine Furcht vor seinen drohenden Worten hatte, obwohl er durchaus imstande war, sie in die Tat umzusetzen.
»Du scheinst dir deiner recht sicher zu sein, Gwyddel«, sagte er schließlich. »Fürchtest du den Tod nicht? Ganz gleich, ob wir hier in Dyfed sind oder nicht – wo ich bin, da herrscht mein Gesetz.«
»Da bin ich anderer Ansicht. Du magst vorübergehend die Macht haben, solange deine Freunde mit Pfeil und Bogen an deiner Seite sind, doch du bist nicht das Gesetz. Das Gesetz ist heiliger als das Schwert, das du bei dir trägst. Und was die Furcht betrifft, so dient sie nicht dem Erfolg. Sie schwächt das Urteilsvermögen, und ich bin eine dálaigh. «
Der junge Mann blickte starr in ihre feurigen grünen Augen. Dann kehrte das Lächeln wieder auf sein Gesicht zurück, er lachte selbstgefällig.
»Du hast recht, Gwyddel. Die Furcht verrät kleinmütige Seelen. Ich bin froh, daß du dich nicht fürchtest. Ich töte ungern Leute, die Angst haben, ins Jenseits zu gelangen.«
Er gab seinen Bogenschützen ein Zeichen. Fidelma war entschlossen, sich nicht anmerken zu lassen, wie sie innerlich bebte. Sie war sich bewußt, daß der junge Mann keine leeren Worte machte. Er war skrupellos.
»Würdest du auch Mönche und Nonnen umbringen?« rief sie. »Wenn dem so ist, dann schätze ich, bist du verantwortlich für diese ungeheuerliche …« Sie zeigte auf die Leiche des alten Mönches, den sie vom Balken abgenommen hatten.
In diesem Augenblick betrat ein weiterer Mann die Scheune. Er gehörte der gleichen Bande an, das konnte man sehen. Man konnte schlecht erkennen, wie alt er war, denn er trug einen glänzenden Helm, durch den er größer wirkte, der jedoch sein Antlitz halb verbarg. Aber er hatte wohl ein hübsches Gesicht und stechende blaue Augen. Er stellte sich neben die anderen und betrachtete Fidelma und Eadulf. Seine Miene wirkte finster.
Der Anführer hielt immer noch die Hand erhoben. Einer der Bogenschützen hüstelte nervös.
»Herr, was ist mit Sualda? Manche Mönche sind auch Ärzte.«
Der Anführer zögerte.
»Töte sie, und dann ist es gut«, zischte der Hinzugekommene. »In den letzten Tagen haben wir genug Fehler gemacht.«
Der junge Mann blickte ihn mit offener Feindseligkeit an. »Daran bin ich nicht schuld. Ich habe mir die komplizierte Strategie nicht ausgedacht. Auf meinen Mann ist Verlaß.« Er wandte sich wieder an Fidelma und Eadulf: »Beherrscht einer von euch die Kunst des Heilens?«
Fidelma zögerte, denn sie war sich nicht sicher, ob Eadulf ihrem Gespräch hatte folgen können. »Bruder Eadulf hat an der medizinischen Fakultät von Tuam Brecain studiert«, sagte sie dann.
Erheitert musterte der junge Mann nun Eadulf. »Damit hast du dem Angelsachsen ein längere Lebenszeit verschafft, als für ihn vorgesehen war. Ihr kommt beide mit.«
»Du hast uns immer noch nicht verraten, wer du bist«, erwiderte Fidelma trotzig.
»Mein Name wird euch nichts sagen.«
»Schämst du dich so dafür?«
Zum erstenmal verfinsterte sich das Gesicht des jungen Mannes. Sein Gefährte mit dem glänzenden Helm trat einen Schritt vor und legte eine Hand auf seinen Arm. Dieser Moment prägte sich Fidelma tief ein. Man konnte den jungen Mann also in Harnisch bringen. Dieses Wissen könnte sich später einmal als nützlich erweisen. Der junge Mann bemühte sich sehr, seine Fassung zurückzugewinnen. Dann kehrte sein zynisches Lächeln wieder.
»Mein Name ist Clydog. Häufig nennt man mich Clydog Cacynen.«
»Clydog, die Wespe?« Fidelma sprach, als würde sie ein Kind besänftigen wollen. »Sag mir, Clydog, warum trägst du den Halsreif eines Helden? Könnte es sein, daß du diese Auszeichnung im Kampf gegen wehrlose Mönche erworben hast?«
Unwillkürlich griff der junge Mann mit der Hand an seinen Halsreif. Wieder flackerte unkontrolliert Wut in seinem Gesicht auf.
»Dieser Reif wurde«, erwiderte er langsam, »bei der Niederwerfung von König Selyf in Cair Legion getragen. Die Angelsachsen werden sich noch an das Verbrechen erinnern.«
Warnend räusperte sich nun der Mann mit dem Kriegshelm. »Es sind genug Worte gewechselt. Wenn du willst, daß die beiden sich nun um Sualdas Gesundheit kümmern, laß uns lieber gehen, ehe noch etwas Unvorhergesehenes passiert. Ihr beiden lauft vor den Bogenschützen her. Keine Tricks,
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