10 - Das Kloster Der Toten Seelen
sonst werden sie ihre Pfeile abschießen. Ich sage das nur einmal.«
Zum erstenmal war Eadulf in der Lage, sich einzumischen.
»Paß nur auf, Welisc«, sagte er und gebrauchte das angelsächsische Wort für Britannier. »Du sprichst gerade mit Fidelma von Cashel, der Schwester des Königs von Cashel.«
Fidelma wandte sich zu ihm um. »Denk an das Sprichwort: Redime te captum quam queas minimo! « flüsterte sie ihm zu.
Der Mann mit dem Kriegshelm blickte von Eadulf zu Fidelma und brach in höhnisches Gelächter aus. »Wie gut! Nun wissen wir wenigstens, daß der Angelsachse eine Zunge hat. Danke für die Mitteilung. Eine Prinzessin der Gwyddel, he? Lady, du mußt deinen sächsischen Freund nicht daran erinnern, daß man bemüht sein sollte, das Lösegeld für sich so gering wie möglich zu halten, wenn man Gefangener ist. Ich bezweifle, daß wir deinen geschätzten königlichen Bruder um Lösegeld angehen werden, auch wenn wir nun deine hohe Stellung kennen. Er ist viel zu weit weg, und solche Verhandlungen sind immer zähflüssig.«
»Also seid ihr gewöhnliche Verbrecher?« Fidelma betrachtete die Männer mit offener Verachtung.
Die rot aufflammenden Wangen des Mannes, der sich Clydog nannte, verrieten, daß er wieder zornig war. »Verbrecher? Solange wir in Dyfed sind, würde ich das bejahen. Aber keine gewöhnlichen, zumindest nicht ich. Ich bin …«
»Clydog!« brach es aus dem Mann mit dem Helm hervor. Ruckartig drehte er sich zu Fidelma und Eadulf um. »Genug dahergeredet. Geht voraus!« Er zeigte auf den Innenhof hinaus.
»Hast du auch einen Namen?« Fidelma konnte man nicht so schnell einschüchtern. Es bereitete ihr vielmehr Vergnügen, zwischen jene Männer, die sie gefangengenommen hatten, einen Keil zu treiben.
Einen Moment lang musterte sie der Mann mit dem Helm von oben bis unten. »Du kannst mich Corryn nennen«, erwiderte er ernst.
»Es ist das erstemal, daß ich höre, daß eine Wespe und eine Spinne zusammenleben«, stellte Fidelma belustigt fest. Corryn , das wußte sie, war das Wort für Spinne.
»Mir egal«, erwiderte der Mann. »Also los jetzt!«
Draußen wartete ein halbes Dutzend Reiter, die alle bewaffnet waren und auf wohlgenährten Pferden saßen. Außerdem waren da noch zwei weitere Männer auf einem großen, offenbar vollbeladenen Fuhrwerk, das mit einer Plane abgedeckt war. Fidelma machte sich nun Vorwürfe, daß sie vorhin dem unruhigen Verhalten ihrer Pferde und dem offenen Tor keine weitere Beachtung geschenkt hatte.
»Wie ich sehe, seid ihr mit eigenen Pferden gekommen«, meinte Clydog, als er sie begutachtete. »Schöne Vollblüter. Die frommen Schwestern und Brüder sind hervorragend ausgestattet.«
»Die Pferde hat uns König Gwlyddien zur Verfügung gestellt«, warf Eadulf ein.
»Ah. Also werden sie dem Alten auch nicht fehlen. Da wir noch ein Stück Weg vor uns haben, könnt ihr sie weiter benutzen.«
»Wohin reiten wir?« wollte Eadulf wissen. »Und warum habt ihr uns gefangengenommen, wenn ihr kein Lösegeld für uns verlangen wollt?«
»Aufgesessen!« wies ihn der Mann schroff an, der sich Corryn nannte. »Keine Fragen!«
Clydog war zu den beiden Männern auf dem Fuhrwerk geritten. »Ihr wißt, was ihr zu tun habt? Sobald ihr fertig seid, stoßt ihr wieder zu uns.«
Er setzte sich an die Spitze des Trupps, der nun Fidelma und Eadulf in seine Mitte genommen hatte. Nach einem Handzeichen von ihm ritten alle in raschem Tempo in Richtung des großen Waldes südlich vor ihnen los. Bruder Meurig hatte auf ihrer Reise nach Llanwnda den Namen des Waldes genannt, erinnerte sich Fidelma. Wie hieß er nur? War das der Wald von Ffynnon Druidion?
Schlimmer hätte es nicht kommen können. Einer Horde von Halsabschneidern in die Hände zu fallen! Bruder Meurig hatte zwar erwähnt, daß in dieser Gegend Räuberbanden ihr Unwesen trieben, aber von einer so großen bewaffneten Meute hatte er nicht gesprochen. Hätte sie das gewußt, sie hätte darauf bestanden, daß Gwlyddien oder auch Gwnda ihnen einen Trupp Krieger als Geleitschutz mitgegeben hätte. In Wahrheit machte sie sich mehr Sorgen um Eadulf als um sich. Vielleicht hätte sie Eadulf mehr Gehör schenken sollen, als er darüber sprach, welche unguten Gefühle er als Angelsachse hatte, sich allein auf britannischem Terrain zu bewegen. Es war nicht so, daß sie die Tiefe der Feindseligkeiten zwischen den beiden Völkern falsch eingeschätzt hatte, doch sie hatte geglaubt, die Vernunft würde sich durchsetzen. Sie
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