10 - Das Kloster Der Toten Seelen
Mair tot war, hast du es da nicht für klüger erachtet, deinen Vater einzuweihen?« fragte Eadulf.
»Nein, das habe ich nicht getan. Vielleicht war das selbstsüchtig, vielleicht auch gefühllos. Ich war der Meinung …« Auf einmal begann sie zu schluchzen. Nach einer Weile sagte sie: »Ich empfand nur Erleichterung, als mir klar wurde, daß Mair an meiner Stelle das Opfer geworden war. Ich dachte, daß es nun ein Ende hätte. Daß Clydog nicht mehr hinter mir her sein würde. Daß ich von jetzt an nichts mehr zu befürchten hätte. Das war alles, was ich dachte. Möge Gott mir vergeben.«
Fidelma lehnte sich vor und berührte den Arm des Mädchens. »Dein Verhalten war ganz normal, Elen. Also hast du dein Geheimnis für dich bewahrt?«
Elen trocknete sich die Augen und nickte.
»Und warum hast du beschlossen, uns das alles jetzt zu offenbaren?« erkundigte sich Eadulf.
Elen schaute ihn verwirrt an, doch Fidelma lächelte ihr aufmunternd zu. »Das ist eine gute Frage«, sagte sie. »Du hättest ja weiter darüber schweigen können. Du hättest es niemandem zu sagen brauchen.«
Elen hielt den Kopf gesenkt.
»Nun komm schon, es muß doch einen Grund geben, oder?« redete ihr Fidelma zu.
Plötzlich blitzte es, dann folgte ein ohrenbetäubender Donner. Ganz in der Nähe krachte es laut, ein Feuerschein verriet, daß der Blitz in einen Baum gefahren war.
Die Pferde wieherten. Ein dumpfer Schlag traf eine Wand der Hütte, denn eines der Pferde hatte sich aufgebäumt und war mit den Vorderhufen dagegen getreten.
Elen war erschrocken aufgesprungen.
»Beruhige dich. Es ist nur das Gewitter«, erklärte ihr Fidelma. Sie ging zur Tür. Heftiger Regen prasselte herab und verwandelte den Boden um die Hütte herum in einen Schlammfluß. Als Fidelma zum Himmel aufschaute, zuckte gerade ein weiterer Blitz auf. Diesmal war der Abstand zwischen Blitz und Donner größer. »Ich sehe besser mal nach den Pferden«, sagte Fidelma.
»Du kannst da jetzt nicht rausgehen«, entgegnete ihr Eadulf. »Ich werde das machen.«
»Eadulf, du sagst immer, daß du dich mit Pferden nicht gut auskennst. Ich kann besser mit ihnen umgehen und werde sie beruhigen.«
Schon wieder blitzte es. In Gedanken zählte Eadulf die Sekunden zwischen Blitz und Donner.
»Das Unwetter zieht ab«, verkündete er eher voller Hoffnung als mit Gewißheit.
Fidelma zog sich ihren Wollmantel über den Kopf und trat hinaus. Durch das Prasseln des Regens hindurch konnte man kaum etwas verstehen, doch Elen meinte, Fidelmas Stimme zu hören, wie sie auf die Pferde einredete. Nach einer Weile kehrte sie völlig durchnäßt zurück. Eadulf fand in der Hütte ein paar trockene Holzscheite. Mit Hilfe der Zunderbüchse, die er stets bei sich trug, hatte er bald ein Feuer angefacht. Fidelma legte ihren Mantel ab und stellte sich vor die lodernden Flammen, um ihre Kutte zu trocknen. Der Donner klang ferner, und der Regen war in ein leichtes Tröpfeln übergegangen. Das Unwetter zog nun auf das Landesinnere zu.
»So«, sagte Fidelma nach einer Weile, »vielleicht können wir jetzt noch einmal zur Sache kommen.«
»Ich habe Elen gefragt, warum sie sich entschieden hat, uns ihr Erlebnis im Wald anzuvertrauen …«, fing Eadulf an.
»Ja, genau«, sagte Fidelma, an Elen gewandt, die sich wieder auf die Bank gesetzt hatte. »Warum hast du uns all das gebeichtet und nicht deinem Vater?«
»Ich hab es ja meinem Vater erzählt.« Elens Stimme klang ganz ruhig.
»Weiß er, daß du uns ins Vertrauen ziehst?«
Sie nickte. »Ich habe es ihm gesagt.«
»Also Gwnda weiß, daß du uns triffst und uns diese Dinge erzählst?« fragte Eadulf ein wenig fassungslos.
»Ja.«
»Und warum lüftest du das Geheimnis ausgerechnet jetzt?« wollte Fidelma wissen.
Elen blickte sie mit erschrockenen Augen an. »Ich habe den Krieger wiedergesehen, der, der damals bei Clydog war. Ich glaube, er hat mich erkannt.«
»Wann war das?« fragte Fidelma.
»Heute nachmittag, als ich aus Cilau zurückkehrte.«
»Und wo?«
»In Llanwnda. Versteht ihr denn nicht?« Ihre Stimme war vor Verzweiflung laut geworden. »Er war in Llanwnda. Ich bin mir sicher, daß er mich wiedererkannt hat. Mein Leben ist in Gefahr. Er wird es Clydog berichten, und Clydog wird merken, daß er die Falsche umgebracht hat.« Wieder begann Elen zu schluchzen.
»Wo hast du den Krieger in Llanwnda getroffen?«
»Bei Iorwerths Schmiede.«
Rasch blickte Fidelma zu Eadulf. »Bei Iorwerths Schmiede, sagst du?«
»Auf dem
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