10 - Der Ölprinz
abgesehen war! Wenn der Überfall gelungen wäre, so läge ich jetzt als ermordete und abgeschiedene Leiche off dem Schlachtfelde, und das Morgenrot täte mir zum frühen Tode leuchten. Das erfordert Schtrafe; verschtehen Sie mich?“
„Die Strafe wird nicht ausbleiben, Frau Ebersbach; darauf können Sie sich verlassen. Damit aber soll nicht gesagt sein, daß wir die Schuldigen umbringen müssen. Wir sind Christen, und Sie gar sind eine Dame, eine Frau. Sie gehören zum zarten, schönen Geschlecht, welches auf Haß und Zorn verzichtet und in Liebe und Güte die Welt beherrscht. Ich bin überzeugt, daß auch in Ihrem Herzen die Milde wohnt, ohne welche selbst die schönste Frau ein häßliches Wesen ist.“
Der spaßhafte kleine Jäger hatte sich, indem er in dieser Weise sprach, nicht verrechnet. Frau Rosalie warf sich in die Brust und antwortete: „Die Milde wohnt? Natürlich wohnt sie da! Ich habe noch een Herz, und was für eens. Es schmilzt wie Butter an der Sonne. Ich gehöre ooch zu dem schönen, zarten Geschlecht, von dem Sie reden, und will mit meiner Güte die Welt beherrschen. Es kommt zwar vor, daß der Mensch verkannt wird, und es hat schon oft Oogenblicke gegeben, wo meine Milde und Güte nicht tief genug erforscht worden is, aber hier bei dieser Gelegenheit will ich öffentlich beweisen, daß mein schwaches Geschlecht schtark in der Verzeihung is. Sie sollen sich nich in mir geirrt haben, Herr Hawkens, ich mag nischt von eener Beschtrafung dieser Mörderbande wissen; lassen Sie sie loofen!“
Sie hätte vielleicht noch länger gesprochen; da aber kamen die Soldaten mit ihren Pferden, um sich draußen vor den Wagen zu lagern, und mit ihnen die Auswanderer, welche den gefangenen Scout mitbrachten.
Nun ging es zunächst an ein sehr reges Fragen und Antworten, welches nicht eher aufhörte, als bis die Deutschen alles, was während ihrer Abwesenheit geschehen war, auf das genaueste erfahren hatten. Auch der Kantor hörte sehr aufmerksam zu, doch nicht, indem er still am Feuer saß wie die andern, sondern er befand sich dabei in fortwährender Bewegung. Er machte sich mit den Gefesselten zu schaffen, deren Lage ihm nicht zu passen schien. Er schob und zerrte bald an dem einen, bald an dem andern herum, zerrte und schob wieder und immer wieder, so daß Sam ihn endlich fragte: „Was tun Sie denn da? Liegen diese Leute nicht richtig, Herr Kantor?“
Der Gefragte drehte sich zu ihm und antwortete in wichtigem Ton: „Kantor emeritus, wenn ich bitten darf, Herr Hawkens! Es ist das nur der Vollständigkeit halber und damit keine Verwechslung vorkomme. Ja, Sie haben es erraten: die Gefangenen müssen ganz anders liegen.“
„Warum?“
„Ihre Gruppierung macht nicht den richtigen Effekt.“
„Effekt? Was haben wir hier mit Effekt zu schaffen?“
„Mehr als Sie denken. Es scheint Ihnen entweder noch nicht bekannt oder schon wieder entfallen zu sein, womit ich umgehe?“
Ohne augenblicklich an die sonderbare Manie des Kantors zu denken, fragte Sam unvorsichtig: „Was könnte das sein?“
„Nichts anderes als meine Oper. Ich gehe damit um, eine große Heldenoper von zwölf Akten zu komponieren und reise nur deshalb in dieser Gegend, um mir den Stoff zu derselben zu suchen. Eine Szene dazu, eine ganz vortreffliche Szene, habe ich hier gefunden, nämlich den ‚Chor der Mörder‘. Sie liegen am Boden und singen ein doppeltes Sextett. Dazu ist aber eine ganz andere Gruppierung notwendig, als diejenige, welche Sie ihnen gegeben haben. Ich studiere dieselbe jetzt und werde sie mir notieren, sobald ich sie gefunden habe. Sie dürfen versichert sein, daß ich mich in acht nehme, den Leuten dabei nicht wehe zu tun!“
„Was das betrifft, so stoßen Sie nur immer herzhaft zu. Kerls, wie diese sind, braucht man nicht mit seidenen Handschuhen anzugreifen.“
Daraufhin fuhr der Heldenkomponist in seiner Beschäftigung fort, und zwar so energisch und nachhaltig, daß Buttler endlich das bisher beobachtete Schweigen brach und zornig zu Sam hinüberrief: „Sir, was hat nur dieser Mann immer und fortwährend mit uns zu schaffen? Sorgt doch endlich dafür, daß er uns in Ruhe läßt! Wir sind keine Spielpuppen, an denen man nach Belieben zerren und ziehen kann!“
Sam hielt es nicht der Mühe wert, zu antworten, darum fuhr Buttler nach einer Weile fort: „Ich muß überhaupt fragen, mit welchem Recht ihr uns überfallen und niedergeschlagen habt!“
„Fragen?“ lachte der Kleine. „Ich denke, ihr braucht
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