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10 Ein Tanz mit Drachen (alte Übersetzung)

10 Ein Tanz mit Drachen (alte Übersetzung)

Titel: 10 Ein Tanz mit Drachen (alte Übersetzung) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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Allerheiligste. Sie wollten noch weiter nach unten, hinunter ins dritte Untergeschoss, zu den geheimen Kammern, zu denen allein die Priester Zutritt hatten.
    Der Schlüssel klickte dreimal sehr leise, als der Gütige Mann ihn im Schloss drehte. Die Tür schwang geräuschlos an geölten Eisenangeln auf. Dahinter folgten weitere Stufen, die aus dem harten Fels gehauen waren. Der Priester nahm die Laterne und ging voraus. Das Mädchen folgte dem Licht und zählte die Stufen, während sie hinunterging. Vier, fünf, sechs, sieben. Sie erwischte sich bei dem Wunsch, ihren Stock mitgenommen zu haben. Zehn, elf, zwölf. Sie wusste, wie viele Stufen es zwischen dem Tempel und dem Keller gab, auch zwischen dem Keller und dem unterem Keller, sie hatte sogar die Stufen auf der engen Wendeltreppe hinauf zum Dachgeschoss gezählt, und auch die Sprossen der steilen Leiter, die zur Dachklappe und dem windigen Ausguck führte.
    Diese Treppe jedoch kannte sie nicht, und das machte sie gefährlich. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig. Mit jedem Schritt schien die Luft ein wenig kälter zu werden. Als sie bei dreißig ankam, wusste sie, dass sie bereits unter den Kanälen waren. Dreiunddreißig, vierunddreißig. Wie tief gingen sie denn noch hinunter?
    Sie zählte bis vierundfünfzig, ehe die Stufen schließlich vor einer weiteren Eisentür endeten. Diese war nicht verschlossen. Der Gütige Mann schob sie auf und trat hindurch. Sie folgte, die Heimatlose auf den Fersen. Ihre Schritte hallten durch die Finsternis. Der Gütige Mann hob seine Laterne und öffnete die Blenden weit. Licht breitete sich auf den Wänden um sie herum aus.
    Tausend Gesichter starrten auf sie herab.
    Sie hingen an den Wänden, vor ihr und hinter ihr, oben und unten, überall, wohin sie auch sah, wohin sie sich drehte. Sie sah alte Gesichter und junge Gesichter, blasse Gesichter und dunkle Gesichter, glatte Gesichter und runzlige Gesichter, sommersprossige Gesichter und vernarbte Gesichter, hübsche Gesichter und hässliche Gesichter, Männer und Frauen, Jungen und Mädchen, sogar Säuglinge, lächelnde Gesichter, grimmige Gesichter, Gesichter voller Gier und Zorn und Lust, kahle Gesichter und Gesichter voller Haare. Masken, redete sie sich ein, das sind bloß Masken, doch noch während ihr dieser Gedanke durch den Kopf ging, wusste sie, dass das nicht stimmte. Es waren Häute.
    »Machen sie dir Angst, Kind?«, fragte der Gütige Mann. »Es ist noch nicht zu spät für dich, uns zu verlassen. Ist das wirklich das, was du willst?«
    Arya biss sich auf die Unterlippe. Sie wusste nicht, was sie wollte. Wenn ich fortgehe, wo soll ich dann hin? Sie hatte hundert Leichen ausgezogen und gewaschen, und Tote machten ihr keine Angst. Sie tragen sie hier herunter und schneiden ihnen die Gesichter ab, na und? Sie war die Nachtwölfin, und ein paar Hautfetzen konnten sie nicht erschrecken. Lederhauben, mehr sind es nicht, sie können mir nichts anhaben. » Ja!«, stieß sie hervor.
    Er führte sie durch die Kammer an einer Reihe von Tunneln vorbei, die in Nebengänge führten. Das Licht der Laterne erhellte sie einen nach dem anderen. In einem Tunnel bestanden die Wände aus Menschenknochen, und das Dach wurde von Säulen aus Schädeln getragen. In einem anderen befand sich eine Wendeltreppe, die noch weiter in die Tiefe führte. Wie viele Keller gibt es hier?, fragte sie sich. Geht es immer weiter nach unten?
    » Setz dich«, befahl der Priester. Sie setzte sich. »Jetzt schließe die Augen, Kind.« Sie schloss die Augen. »Es wird wehtun«, warnte er sie, »aber Schmerz ist der Preis der Macht. Halte still.«
    Still wie Stein, dachte sie. Reglos saß sie da. Der Schnitt war schnell gemacht, die Klinge scharf. Eigentlich hätte sich das Metall kalt auf ihrer Haut anfühlen sollen, doch stattdessen war es warm. Sie spürte, wie das Blut über ihr Gesicht floss, wie ein roter Vorhang über ihre Stirn und ihre Wangen und ihr Kinn rann, und sie verstand, warum der Priester von ihr verlangt hatte, die Augen zu schließen. Als der Strom ihre Lippen erreichte, schmeckte sie Salz und Kupfer. Sie leckte daran und schauderte.
    »Bring mir das Gesicht«, sagte der Gütige Mann. Die Heimatlose antwortete nicht, doch sie hörte ihre Pantoffeln über den Steinboden flüstern. Zu dem Mädchen sagte er: »Trink das«, und drückte ihr einen Becher in die Hand. Sie trank alles auf einmal. Es schmeckte sehr sauer, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. Vor tausend Jahren hatte sie

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