10 Ein Tanz mit Drachen (alte Übersetzung)
ein Mädchen gekannt, das Zitronenkuchen geliebt hatte. Nein, das war nicht ich, das war nur Arya.
» Mimen verändern ihr Gesicht mit Kniffen«, sagte der Gütige Mann, »und Zauberer benutzen Blendwerk, sie verweben Licht und Schatten und Verlangen, um Illusionen zu erzeugen, die das Auge täuschen. Diese Künste wirst du lernen, aber was wir hier tun, geht tiefer. Kluge Menschen durchschauen Kniffe, und Blendwerk zerfällt vor einem scharfen Auge, doch das Gesicht, das du jetzt anlegen wirst, wird genauso wirklich und wahrhaftig sein wie das, mit dem du geboren wurdest. Halte die Augen geschlossen.« Sie spürte, wie seine Finger ihr Haar zurückstrichen. »Halt still. Es wird sich seltsam anfühlen. Vielleicht wird dir schwindlig werden, aber du darfst dich nicht bewegen.«
Dann folgte ein Zerren und ein leises Rascheln, als das neue Gesicht über das alte gezogen wurde. Das Leder kratzte trocken und steif über ihre Stirn, doch als es ihr Blut aufsaugte, wurde es weich und geschmeidig. Ihre Wangen wurden warm und erröteten. Sie spürte, wie ihr Herz in ihrer Brust flatterte, und einen Moment lang bekam sie keine Luft. Hände schlossen sich um ihre Kehle, hart wie Stein, und würgten sie. Ihre Hände schossen hoch und wollten die Arme des Angreifers packen, doch sie fanden keine. Ein furchtbares Gefühl der Angst erfüllte sie, und dann hörte sie ein Geräusch, ein hinterhältiges Knacken , das von einem entsetzlichen Schmerz begleitet wurde. Vor ihr schwebte ein Gesicht, fett, bärtig, brutal, den Mund vor Wut verzerrt. Sie hörte den Priester sagen: »Atme, Kind. Atme die Angst aus. Schüttele die Schatten ab. Er ist tot. Sie ist tot. Ihr Schmerz ist verflogen. Atme. «
Das Mädchen holte tief Luft und bemerkte, dass es stimmte. Niemand würgte sie, niemand schlug sie. Trotzdem zitterte ihre Hand, als sie nach ihrem Gesicht tastete. Trockenes Blut löste sich unter ihren Fingern und rieselte zu Boden. Im Licht der Lampe sah es schwarz aus. Sie strich über ihre Wangen, berührte ihre Augen und zog die Linie ihres Kinns nach. »Mein Gesicht ist immer noch das gleiche.«
»Ach ja? Bist du sicher?«
War sie sicher? Sie hatte keine Veränderung gespürt, aber vielleicht konnte man die Verwandlung auch gar nicht spüren. Sie strich sich mit der Hand von oben nach unten über das Gesicht, so wie sie es Jaqen H’ghar hatte tun sehen, damals in Harrenhal. Als er das getan hatte, hatte sich sein ganzes Gesicht gekräuselt und verwandelt. Doch als sie das tat, geschah nichts. »Es fühlt sich genauso an wie vorher.«
»Für dich«, sagte der Priester. »Aber es sieht nicht mehr so aus.«
»In den Augen anderer sind deine Nase und dein Kinn gebrochen«, sagte die Heimatlose. »Eine Seite deines Gesichts ist eingeschlagen, wo deine Wangenknochen zertrümmert wurden, und dir fehlt die Hälfte deiner Zähne.«
Sie tastete mit ihrer Zunge im Mund herum, fand jedoch keine Löcher oder abgebrochenen Zähne. Zauberei, dachte sie. Ich habe ein neues Gesicht. Ein hässliches, zertrümmertes Gesicht.
»Vielleicht wirst du eine Zeitlang schlechte Träume haben«, warnte der Gütige Mann. »Ihr Vater hat sie so oft und so brutal verprügelt, dass sie nie ganz frei von Schmerzen oder Angst war, ehe sie zu uns gekommen ist.«
»Habt Ihr ihn getötet?«
»Sie hat die Gabe für sich selbst erbeten, nicht für ihren Vater.«
Ihr hättet ihn töten sollen.
Er musste ihre Gedanken gelesen haben. »Am Ende ist der Tod zu ihm gekommen, wie er zu allen Menschen kommt. Wie er auch morgen zu einem bestimmten Mann kommen wird.« Er hob die Lampe. »Hier sind wir fertig.«
Für den Augenblick. Auf dem Weg zurück zur Treppe schienen ihr die leeren Augenhöhlen der Häute an den Wänden zu folgen. Einen Moment lang konnte sie fast sehen, wie sich ihre Lippen bewegten und einander dunkle Geheimnisse zuflüsterten, in Worten, die zu leise waren, um sie zu verstehen.
In dieser Nacht wollte sich der Schlaf nicht leicht einstellen. In ihre Decke gewickelt, wälzte sie sich hin und her in dem kalten dunklen Zimmer, doch wie sie auch lag, sie sah die Gesichter. Sie haben keine Augen, und doch können sie mich sehen. Sie sah das Gesicht ihres Vaters an der Wand. Neben ihm hing ihre Hohe Mutter, und darunter ihre drei Brüder, alle in einer Reihe. Nein. Das war ein anderes Mädchen. Ich bin niemand, und meine einzigen Brüder tragen Roben in Schwarz und Weiß. Und doch war dort der schwarze Sänger, der Stallbursche, den sie mit Needle
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