10 Ein Tanz mit Drachen (alte Übersetzung)
zu ihrem Becken, wusch sich mit kaltem Wasser das Gesicht und trocknete sich ab. Ser Gregor, dachte sie, Dunsen, Raff der Liebling. Ser Ilyn, Ser Meryn, Königin Cersei. Ihr Morgengebet. Oder nicht? Nein, dachte sie. Nicht meines. Ich bin niemand. Das ist das Gebet der Nachtwölfin. Eines Tages wird die Nachtwölfin sie finden, zur Strecke bringen, ihre Angst riechen und ihr Blut schmecken. Eines Tages.
Auf einem Haufen fand sie ihre Unterwäsche und schnüffelte daran, um festzustellen, ob sie noch frisch genug war, um sie zu tragen, dann zog sie sich in ihrer Dunkelheit an. Ihr Dienerinnengewand hing dort, wo sie es aufgehängt hatte – eine lange Tunika aus ungefärbter Wolle, deren grobes Gewebe kratzte. Sie schüttelte sie aus und streifte sie mit einer geschmeidigen, geübten Bewegung über den Kopf. Als Letztes waren die Socken an der Reihe. Einer schwarz, einer weiß. Der schwarze war um die Spitze herum geflickt, der weiße nicht; so konnte sie die beiden unterscheiden und sichergehen, dass sie die richtige Socke auf den richtigen Fuß zog. Ihre Beine waren mager, aber kräftig und federnd und wuchsen jeden Tag in die Länge. Das machte sie glücklich. Eine Wassertänzerin brauchte gute Beine. Die Blinde Beth war keine Wassertänzerin, aber sie würde nicht ewig Beth bleiben.
Sie kannte den Weg in die Küche, aber ihre Nase hätte sie auch dorthin geführt, wenn das nicht der Fall gewesen wäre. Scharfer Pfeffer und gebratener Fisch, entschied sie und schnupperte im Gang, dazu Brot frisch aus Ummas Ofen. Bei den Gerüchen knurrte ihr Magen. Die Nachtwölfin hatte gefressen, doch das füllte dem blinden Mädchen nicht den Bauch. Traumfleisch konnte sie nicht nähren, das hatte sie früh gelernt.
Sie aß Sardinen zum Frühstück, die in Pfefferöl knusprig gebraten waren und so heiß aufgetragen wurden, dass sie sich die Finger daran verbrannte. Mit einem Kanten von Ummas Morgenbrot saugte sie das restliche Öl auf und spülte alles mit einem Becher verdünnten Wein hinunter; sie genoss Geschmack und Geruch, das Gefühl der rauen Kruste in ihren Fingern, die Seidigkeit des Öls und das Brennen, als scharfer Pfeffer in den halb verheilten Kratzer auf ihrem Handrücken gelangte. Hören, riechen, schmecken, fühlen, rief sie sich in Erinnerung. Es gibt für jene, die nicht sehen können, viele Möglichkeiten, die Welt wahrzunehmen.
Hinter ihr hatte jemand den Raum betreten, der weiche gepolsterte Pantoffeln trug und leise wie eine Maus ging. Sie blähte die Nasenlöcher auf. Der Gütige Mann. Männer rochen anders als Frauen, und es lag außerdem ein Hauch von Orange in der Luft. Der Priester kaute gern Orangenschale, wann immer er sie bekommen konnte, um seinen Atem zu versüßen.
»Und wer bist du heute Morgen?«, hörte sie ihn fragen, als er sich an den Kopf des Tisches setzte. Tock, tock, hörte sie und dann ein leises Knirschen. Er klopft sein erstes Ei auf.
» Niemand«, antwortete sie.
»Eine Lüge. Ich kenne dich. Du bist ein blindes Bettelmädchen.«
»Beth.« In Winterfell hatte sie einmal eine Beth gekannt, damals, als sie noch Arya Stark gewesen war. Vielleicht hatte sie sich deshalb diesen Namen ausgesucht. Oder auch vielleicht nur, weil er so gut zu blind passte.
»Armes Kind«, sagte der Gütige Mann. »Möchtest du deine Augen zurück. Frag nur, und du wirst wieder sehen können.«
Diese Frage stellte er ihr jeden Morgen. »Vielleicht möchte ich sie morgen. Heute nicht.« Ihr Gesicht war wie stilles Wasser, verbarg alles und enthüllte nichts.
»Wie du möchtest.« Sie hörte, wie er das Ei pellte, dann ein leises silbriges Klirren , als er den Salzlöffel nahm. Er aß gern viel Salz auf seinem Ei. »Wo hat mein armes blindes Mädchen gestern Nacht gebettelt?«
»Im Gasthaus Zum Grünen Aal.«
»Welche drei neuen Dinge hast du erfahren, die du noch nicht wusstest, als du uns verlassen hast?«
»Der Seeherr ist immer noch krank.«
»Das ist nichts Neues. Der Seeherr war gestern krank, und er wird auch morgen noch krank sein.«
»Oder tot.«
»Wenn er stirbt, ist das etwas Neues.«
Wenn er stirbt, gibt es eine Wahl, und die Messer werden gezogen. So waren die Sitten in Braavos. In Westeros bestieg nach dem Tod eines Königs dessen ältester Sohn den Thron, doch die Braavosi hatten keine Könige. »Tormo Fregar wird der neue Seeherr.«
»Behauptet man das im Grünen Aal?«
»Ja.«
Der Gütige Mann aß einen Bissen Ei. Das Mädchen hörte ihn kauen. Mit vollem Mund sprach er
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