10 Ein Tanz mit Drachen (alte Übersetzung)
Ich nehme an, damit wäre er so etwas wie ein Vetter, aber wir nannten ihn immer Onkel. Jetzt wollen sie, dass ich ihn Gemahl nenne.« Sie ballte die Faust. »Vor dem Krieg war ich mit Daryn Hornwood verlobt. Wir wollten mit der Heirat nur noch warten, bis ich erblüht wäre, doch der Königsmörder hat Daryn im Whispering Wood erschlagen. Mein Vater schrieb, dass er mir einen Lord aus dem Süden als Mann suchen werde, aber das ist nie geschehen. Euer Bruder Robb hat ihm den Kopf abgehauen, weil er Lannisters umgebracht hat.« Sie verzog den Mund. »Ich dachte eigentlich, sie wären deshalb nach Süden gezogen, um Lannisters zu töten.«
»Es war … ganz so einfach war es nicht. Lord Karstark hat zwei Gefangene erschlagen, Mylady. Unbewaffnete Knaben, Knappen, die in einer Zelle saßen.«
Das Mädchen wirkte wenig überrascht. »Mein Vater hat nie so herumgebrüllt wie der Greatjon, aber in seinem Zorn war er nicht weniger gefährlich. Allerdings ist er jetzt tot. Und Euer Bruder ebenfalls. Aber Ihr und ich, wir sind hier, und wir leben noch. Gibt es eine Blutfehde zwischen uns, Lord Snow?«
»Wenn ein Mann das Schwarz anlegt, lässt er alle Fehden hinter sich. Die Nachtwache liegt nicht im Streit mit Karhold und auch nicht mit Euch.«
»Gut. Ich hatte Angst … ich habe meinen Vater angefleht, einen meiner Brüder als Kastellan einzusetzen, aber keiner wollte sich den Ruhm und die Lösegelder entgehen lassen, die es im Süden zu gewinnen gab. Jetzt sind Torr und Edd tot. Harry war Gefangener in Maidenpool, als wir zuletzt von ihm gehört haben, doch das ist schon fast ein Jahr her. Inzwischen ist er vielleicht auch tot. Ich wusste nicht, was ich tun konnte, außer mich an Eddard Starks letzten Sohn zu wenden.«
»Warum nicht an den König? Karhold hat sich für Stannis erklärt.«
»Mein Onkel hat sich für Stannis erklärt, weil er hoffte, die Lannisters dazu verleiten zu können, dem armen Harry den Kopf abzuschlagen. Sollte mein Bruder sterben, so geht Karhold an mich, aber meine Onkel wollen sich mein Geburtsrecht unter den Nagel reißen. Sobald Cregan ein Kind von mir hat, wird er mich nicht mehr brauchen. Zwei Frauen hat er schon begraben.« Wütend rieb sie sich eine Träne aus den Augen, so wie Arya es vielleicht auch getan hätte. »Werdet Ihr mir hel-
fen?«
»Eheschließungen und Erbschaften sind Angelegenheiten des Königs, Mylady. Ich werde Stannis gern einen Brief schreiben und ihm Euer Anliegen vortragen, doch …«
Alys Karstark lachte, wenn auch verzweifelt. »Schreibt ihm nur, aber erwartet keine Antwort. Stannis wird tot sein, ehe er Eure Nachricht erhält. Mein Onkel wird schon dafür sorgen.«
»Was meint Ihr damit?«
»Arnolf eilt nach Winterfell, das ist wohl wahr, aber nur, damit er Eurem König den Dolch in den Rücken rammen kann. Er hat sich schon vor langer Zeit auf Gedeih und Verderb Roose Bolton angeschlossen … für Gold, für das Versprechen einer Begnadigung und für den Kopf des armen Harry. Lord Stannis marschiert mitten in ein Gemetzel hinein. Daher kann er mir nicht helfen und würde es auch nicht tun, wenn er könnte.« Alys kniete vor ihm und packte seinen schwarzen Mantel. »Ihr seid meine einzige Hoffnung, Lord Snow. Im Namen Eures Vaters flehe ich Euch an: Beschützt mich.«
Das blinde Mädchen
Ihre Nächte wurden von fernen Sternen und vom Schimmern des Mondlichts auf dem Schnee erhellt, aber in der Dämmerung erwachte sie stets in Dunkelheit.
Sie schlug die Augen auf und starrte blind in die Schwärze, die sie umgab, und ihr Traum verflüchtigte sich. So wunderschön. Sie leckte sich die Lippen und erinnerte sich. Das Blöken der Schafe, der Schrecken in den Augen des Hirten, das Gejammer der Hunde, als sie sie einen nach dem anderen getötet hatte, das Knurren ihres Rudels. Wild war seltener geworden, seit der Schneefall eingesetzt hatte, doch letzte Nacht hatte es ein Festmahl gegeben. Lamm und Hund und Hammel und dazu Menschenfleisch. Einige ihrer kleineren grauen Vettern fürchteten sich vor Menschen, sogar vor toten Menschen, sie jedoch nicht. Fleisch war Fleisch, und Menschen waren Beute. Sie war die Nachtwölfin.
Doch nur, wenn sie träumte.
Das blinde Mädchen wälzte sich auf die Seite, setzte sich auf, sprang auf und streckte sich. Ihr Bett war eine mit Lumpen gestopfte Matratze auf einem kalten Steinsockel, und beim Aufwachen war sie stets steif und verkrampft. Sie tappte, still wie ein Schatten, auf ihren kleinen, nackten, schwieligen Füßen
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