10 - Operation Rainbow
Tag, wenn sich Popov recht entsann. Das war nicht bloß erstaunlich. Es bestürzte ihn. Wie zum Teufel war ihm das gelungen?
Und er war an einer Aktion beteiligt, die auf etwas Schlimmeres als Massenmord abzielte. An dieser Stelle endeten Popovs Gedanken jedesmal in der Sackgasse. Es war, als liefe man durch eine belebte Straße, an deren Ende man vor eine Steinmauer lief. Was konnte ein Geschäftsmann aushecken, daß er das Risiko in Kauf nahm, seine Freiheit zu verlieren oder gar den eigenen Kopf? Ging es womöglich um M ord in noch größerem Ausmaß? Aber zu welchem Zweck? Um einen Krieg anzufangen womöglich - aber er war kein Staatschef und konnte doch schon deshalb niemandem den Krieg erklären. War Brightling ein Spitzel, der wichtige Informationenzur nationalen Sicherheit an einen Fremdstaat verriet? Aber was hatte er davon? Wer in aller Welt, und sei es die Regierung, konnte einen Milliardär bestechen? Ach was, Geld spielte keine Rolle. Was blieb dann noch?
Es gab eine klassische Abkürzung für die Gründe, die einen Menschen zum Landesverrat verleiten konnten: GIGS - Geld, Ideologie, Gewissen oder Selbstsucht. Geld war ausgeschlossen. Davon hatte Brightling mehr, als er ausgeben konnte. Ideologie war stets die beste Motivation für einen Landesverräter-Spion. Die meisten sind eher bereit, ihr Leben für Glaubenssätze zu riskieren als für Geld. Doch welcher Ideologie hing dieser Mann an? Popov wußte es nicht. Als nächstes kam das Gewissen. Gegen welche Verfehlungen wollte er vorgehen? Es gab doch kaum welche, oder? Als letztes die Selbstsucht. Zugegeben, Brightling hatte ein beträchtliches Ego, aber der Selbstsucht lag meist das Motiv zugrunde, sich an mächtigeren Personen oder Institutionen zu rächen, die einem übel mitgespielt hatten. Wer konnte den Milliardär John Brightling derart gekränkt haben, daß sein materieller Reichtum ihm keine ausreichende Linderung brachte? Popov winkte dem Kellner und bestellte noch einen Wodka. Er würde sich nachher ein Taxi bestellen.
Um Geld ging es nicht. Auch nicht um das liebe Ego. Blieben Ideologie und Gewissen. Welche Glaubenssätze, welche Irrlehren konnten einen Mann dazu bringen, Völkermord im großen Maßstab zu verüben? Was das erste betraf - Brightling war kein religiöser Fanatiker; und das letztgenannte - er zeigte keine Unzufriedenheit mit seinem Vaterland. Obwohl Geld und Selbstsucht als Motivationen wegfielen, schienen auch Ideologie und Gewissen nicht zuzutreffen, und Popov verwarf sie nur deshalb nicht, weil - ja warum wohl? fragte er sich selbst. Weil er nur vier mögliche Motivationen kannte, es sei denn, Brightling wäre komplett verrückt, und das war er offenbar nicht, oder?
Nein , entschied Popov. Sein Arbeitgeber litt nicht an einer Geisteskankheit. Er war bei jeder Aktion sehr umsichtig vorgegangen, und das , obwohl seine Ansichten, vor allem, was das Geld betraf, sich von Popovs grundlegend unterschieden - verdammt, er war so reich, daß der Unterschied in der Perspektive durchaus begreiflich war; für ihn war eine Million Dollar dasselbe wie für Dmitrij Arkadejewitsch das Kleingeld in der Hosentasche. War er womöglich ein Verrückter vom Kaliber eines... Staatschefs, ein neuer Saddam Hussein oder Adolf Hitler oder Josef Wissarionowitsch Stalin? Aber nein, er war kein Staatschef, hatte gar keine politischen Ambitionen, und nur solche Männer nährten diese Sorte Wahnsinn.
In seiner Karriere beim KGB hatte Popov mit allen möglichen Kuriositäten zu tun gehabt. Er hatte gegen den Klassenfeind operiert und war niemals erwischt worden, hatte keinen einzigen Auftrag verpatzt. Im Ergebnis durfte er sich wohl als einen gerissenen Hund betrachten. Schon deshalb war ihm die gegenwärtige Sackgasse unangenehm. Er besaß über eine Million Dollar auf einem Bankkonto in Bern. In Kürze stand ihm noch mehr Geld ins Haus. Er hatte zwei terroristische Aktionen angezettelt, deren Ziel erreicht war - oder doch nicht? Sein Arbeitgeber schien zufrieden, trotz der ungeheuren taktischen Rückschläge. Doch je mehr er herauszubekommen versuchte, desto weniger wußte er Bescheid, dachte Dmitrij Arkadejewitsch. Je mehr er sich in die Materie vertiefte, desto mehr entging ihm. Und je weniger er wußte, desto unzufriedener war er. Er hatte seinen Boß mehr als einmal gefragt, worauf seine Aktivitäten abzielten, aber Brightling ließ nichts durchblicken. Es mußte ein ganz großes Ding sein... Aber was zum Teufel war es?
Sie hatten den
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