10 - Operation Rainbow
Sie als Schlächter unschuldiger kranker Menschen in die Geschichte ein. Wollen Sie, daß es soweit kommt? Wollen Sie das wirklich, Tim?« Bellow schwieg einen Augenblick. Dann fuhr er fort: »Was ist denn mit euren Familien? Wie zum Teufel wollt ihr das vor eurem politischen Flügel verantworten? Diese Leute zu töten wäre auch vor der öffentlichen Meinung nicht zu verantworten. Ihr seid doch keine fundamentalistischen Islamisten, oder? Seid ihr nicht Christen? Und von Christen heißt es, daß sie nicht zu solchen Mitteln greifen. Wie dem auch sei, als Druckmittel mag Ihre Drohung vielleicht nützlich sein, aber ein Mittel, um hier herauszukommen, ist sie nicht. Das werden Sie einsehen, Tim. Die Folge wäre nur, daß Sie getötet werden und Ihr politisches Anliegen schwersten Schaden nimmt. Sean Grady wurde inzwischen gefangengenommen«, fügte er nicht ohne Berechnung hinzu.
»Wie bitte?!« Diese Neuigkeit schien Timothy zu erschüttern.
»Er wurde auf der Flucht überwältigt. Er hat dabei auch einen Schuß abbekommen, aber er wird's überleben. Sie sind gerade dabei, ihn zu verarzten.«
Es war, als hätte er in einen großen Ballon gestochen, stellte der Psychologe fest. Sein Widersacher mußte erst einmal Luft ablassen. So mußte man's machen, mal hier ein bißchen kneten und mal da. Nicht zu schnell, damit ihn seine Verzweiflung nicht zur Gewalttätigkeit trieb. Aber wenn man sie Schritt für Schritt bearbeitete, dann fraßen sie einem aus der Hand. Bellow hatte ein Buch über Verhandlungspraxis bei Geiselnahmen verfaßt. Zunächst mußte man die Situation räumlich unter Kontrolle bringen. Das hieß, die Betreffenden einzuschließen. Als nächstes galt es, den Informationsfluß unter Kontrolle zu bringen. Anschließend konnte man den Täter mit Informationen versehen, aber Häppchen für Häppchen, so feinfühlig, als stünde man als Dirigent vor dem Orchester der Royal Albert Hall. Und zum Schluß konnte man sie dann in die Tasche stecken.
»Sie werden uns Sean ausliefern! Er kommt mit uns in den Bus!«
»Bleiben Sie vernünftig, Timothy. Ihr Freund liegt gerade auf dem Operationstisch, und das wird ein paar Stunden dauern! Selbst wenn Sie versuchen wollten, ihn jetzt zu transportieren, würde er es vermutlich kaum überleben. Wollen Sie noch einen Toten in Kauf nehmen, Tim? Ich kann Ihren Wunsch ja verstehen, aber es ist unmöglich. Daraus wird nichts. So leid es mir tut, aber niemand kann was dafür!«
Sein Anführer ein Gefangener? dachte Tim O'Neil. Sean hatte es erwischt? Merkwürdigerweise kam ihm das schlimmer vor als seine eigene Lage. Wenn er hinter Gitter käme, würde Sean ihn unter allen Umständen rauspauken, aber wenn Sean selbst auf der Isle of Wight säße, dann... War denn alles verloren? Aber...
»Woher soll ich wissen, ob Sie die Wahrheit sagen?«
»In einer solchen Situation kann ich gar nicht lügen, Tim. Ich war doch verrückt! Lügen macht doch alles noch komplizierter, und wenn Sie mich bei einer Lüge ertappen, würden Sie mir gar nicht mehr über den Weg trauen. Damit wäre keinem geholfen - Ihnen nicht, mir nicht, und meinen Vorgesetzten auch nicht, oder?« Wieder sprach er mit ruhiger, besonnener Stimme und appellierte an die Vernunft seines Gegenübers.
»Und Sie wollen Arzt sein?«
»Das stimmt«, nickte Dr. Bellow.
»Wo praktizieren Sie denn?«
»Zur Zeit vor allem hier. Aber meinen Doktor in Medizin habe ich in Harvard gemacht. Ich habe an verschiedenen Orten gearbeitet und halte auch Vorlesungen.«
»Aber Ihr eigentlicher Job ist, Leute wie mich zum Aufgeben zu überreden, stimmt's?« Angesichts des Unvermeidlichen stieg Wut in O'Neil hoch.
Bellow schüttelte den Kopf. »Nein, ich trage in meinem Job dazu bei, Menschenleben zu retten. Ich bin Arzt, Tim. Ich darf niemanden töten und auch nicht anderen Beihilfe zur Tötung von Menschen leisten. Vor langer Zeit habe ich einen Eid darauf geschworen. Ihr habt Gewehre. Die Leute auf der anderen Seite des Korridors haben Gewehre. Ich möchte nicht, daß einer von euch umkommt. Wir haben heute schon genug Tote zu beklagen, nicht wahr? Genießen Sie es vielleicht, wenn Menschen umkommen, Tim?«
»Wieso - nein, verdammt noch mal, natürlich nicht! Wer ist so pervers...«
»Es gibt schon einige, die so sind, Tim.« Bellow entschloß sich, Tims Selbstbild ein wenig aufzupäppeln. »In der Wissenschaft bezeichnet man diese Personen als Soziopathen. Ich glaube nicht, daß Sie dazugehören. Sie sind Soldat. Sie kämpfen
Weitere Kostenlose Bücher