10 - Operation Rainbow
Industriestaat -, doch die Polizei nahm sie nicht ernster als, sagen wir, die von Boulder, Colorado. Ein vergleichbarer Anschlag war in Bern niemals vorgekommen, und solange es nicht passierte, spielte es im taktischen Kalkül der örtlichen Polizeibehören keine Rolle. Das leuchtete Clark und den anderen völlig ein. Die deutsche Polizei, eine der bestorganisierten der Welt, hatte seinerzeit bei der Rettungsaktion für die Geiseln von Fürstenfeldbruck komplett versagt. Nicht, weil sie schlechte Gesetzeshüter waren, sondern weil es das erste Mal für sie war. Und das Ergebnis? Zahlreiche israelische Sportler kehrten von der Olympiade in München von 1972 nicht mehr nach Hause zurück. Die Terroristen hatten der Welt eine Lektion erteilt, aber hatte sie daraus gelernt? fragten sich Clark und sein Team.
Eine weitere halbe Stunde brachte die Liveschaltung nur wenig Neues. Dann lief ein Polizist über die geräumte Straße, der ein Handy in der Hand hielt. Anfangs wirkte seine Körpersprache souverän, doch dann änderte sie sich, und schließlich preßte er den Hörer so fest ans Ohr, als wollte er hineinkriechen. Er hob die freie Hand, begütigend, als stünde ihm sein Gesprächspartner gegenüber.
»Da stimmt was nicht«, bemerkte Dr. Paul Bellow, was niemanden überraschte, besonders Eddie Price nicht, der gespannt auf der Sesselkante saß und schweigend sein Pfeifchen schmauchte. Unterhandlungen mit Menschen wie denen, die jetzt über die Bank herrschten, waren eine Kunst für sich, und die mußte der Einsatzleiter - mochte sein Rang noch so hoch sein - erst lernen. Sieht so aus, dachte der Hauptfeldwebel, als ginge es einem oder mehreren Bankkunden an den Kragen.
»War das ein Schuß?« soufflierte der Dolmetscher, der seine Stimme einem der Reporter am Tatort lieh.
»Verdammte Scheiße«, fluchte Chavez leise. Die Situation eskalierte vor ihren Augen.
Kaum eine Minute später öffnete sich eine der Glasflügeltüren der Bank, und eine Zivilperson schleppte einen Leichnam auf den Bürgersteig. Er schien männlich zu sein, doch der Kopf, auf den die beiden Kameras aus unterschiedlichem Winkel jetzt zoomten, war nur noch eine blutige Masse. Der Zivilist trug den Toten bis hinaus und erstarrte, als er sie ablegte.
Geh nach rechts , soufflierte Chavez stumm, als könne ihn der andere hören, sofort rechts, hörst du ? Irgendwie kam die Botschaft tatsächlich ans Ziel, denn der namenlose Mann im grauen Regenmantel stand sekundenlang reglos da, blickte zu Boden, und ging dann - verstohlen, wie es schien - eilig nach rechts ab.
»Jemand ruft aus dem Inneren der Bank«, übersetzte der Dolmetscher.
Doch was der Rufer in der Schalterhalle auch gerufen haben mochte, schien nicht das richtige zu sein. Der Zivilist verdrückte sich nach rechts, weg von den Doppelglasscheiben am Portal und unter die v erspiegelten Fenster. Schon war er auf dem Bürgersteig, hinter sich eine drei Meter hohe Brandmauer aus Granit, und vom Gebäude aus nicht mehr zu erkennen.
»Gut gemacht, Junge«, freute sich Tawney. »Wollen sehen, ob die Polizei dich auch freischießen kann.«
Eine der Kameras schwenkte jetzt zu dem Einsatzleiter, der mit seinem Handy mitten auf der Straße lief und jetzt wild gestikulierend dem Zivilisten bedeutete, sich zu ducken. Ob tapfer oder tollkühn, war schwer zu entscheiden, jedenfalls schlenderte er langsam zurück zu den geparkten Überfallwagen — merkwürdigerweise fiel kein Schuß. Die Kamera richtete sich indessen wieder auf die entkommene Geisel. Polizisten waren seitlich am Bankgebäude vorgerückt, bedeuteten dem Mann, auf allen Vieren zu kriechen, unten zu bleiben, während sie stehen blieben. Die Uniformierten hielten ihre MPs im Anschlag. Ihre Haltung drückte Streß und Verzweiflung aus. Einer von ihnen sah nach der Leiche auf dem Bürgersteig, und die Zuschauer in Hereford konnten sich denken, wie ihm zumute war.
»Mr. Tawney, Anruf für Sie auf Leitung vier«, unterbrach sie der Lautsprecher. Der Geheimdienstler ging ans Telefon und drückte den blinkenden Knopf.
»Tawney? Ach ja, Dennis...«
»Wer immer die Kerle sind, sie haben gerade einen umgebracht.«
»Wir haben's gesehen. Wir zapfen das Fernsehprogramm an.«
War deshalb Gordons Reise nach Bern bloße Zeitverschwendung gewesen? »Hast du diesen Armitage mitgebracht?«
»Ja, Bill. Er ist gerade unterwegs, um mit der Einsatzleitung zu sprechen.«
»Großartig. Ich bleib dran, um gleich mit ihm zu reden.«
Wie aufs Stichwort
Weitere Kostenlose Bücher