100 - Die gelbe Villa der Selbstmoerder
irgendwo unter den Mauern der Wissenschaft schlummerte.
Schlummerte – aber nicht tot war.
Spät am Abend hielten wir eine letzte Besprechung ab. Schwaber hatte nicht mehr angerufen. Ich hoffte, daß alles klappte.
Willie fühlte sich nicht ganz wohl in seiner Haut. Ich hatte beiden natürlich von der Schlüsselsache erzählt. Klara war nicht sehr beeindruckt davon. Sie wirkte ferner denn je.
„Hast du keine Angst?“ fragte ich sie.
Sie schüttelte verneinend den Kopf.
„Unterdrückst du sie nur?“
Sie sah mich an. „Verstehst du es wirklich noch immer nicht? Ich unterdrücke diese Gefühle nicht. Ich wollte, es wäre so. Sie sind einfach nicht da. Ich bin so leer. Ich wollte, ich könnte deine Gefühle erwidern. Aber ich weiß nicht wie.“
Ich nickte. „Ich weiß, mein Liebling. Ich weiß, daß du das alles nicht bewußt verdrängst, aber etwas in dir hat diesen Vorhang zugezogen. Und eines Tages werden wir finden, was es ist.“
„Wenn uns noch genügend Zeit bleibt“, sagte Willie. „Mir gefällt es nicht, daß wir uns alle zusammen in die Falle setzen sollen.“
Ich nickte. Daran hatte ich auch bereits gedacht. „Was schlägst du vor?“
„Ich werde nicht mitkommen. Dieser Schwager kann ebenso gut den Wachhund spielen. Ich werde aus sicherer Entfernung ein Auge auf euch haben.“
„Dann wirst du nicht viel mitbekommen“, wandte ich ein.
„Genug, um zu erkennen, ob ihr in der Klemme seid“, erwiderte er.
Ich nickte nachdenklich.
„Das scheint mir ein guter Gedanke, Hans“, warf Klara ein.
„Also gut“, stimmte ich schließlich zu. „Dann gehen wir aber auch kein Risiko ein, daß man dich mit uns in Verbindung bringen könnte. Du fährst nicht mit uns. Die Nummer könnte sie mißtrauisch machen. Du nimmst einen Zug am Vormittag.“
„Ist mir recht. Wie bekomme ich mit euch Kontakt?“
„Steig im Hotel ZUM GROSSEN BÄREN ab. Steht unter dem Pächternamen H. Pesch im Telefonbuch. Und warte dort auf unseren Anruf.“
„Wo trefft ihr das Mädchen?“
„Pas weiß Schwaber hoffentlich.“ Ich zuckte die Achseln.
Danach kam die Rede erneut auf die Schlüssel.
Willie glaubte, es sei besser, wenn er sie an sich nähme, wenigstens bis Plangau. Aber mir schien ein Treffen in Plangau zu riskant. Wenn man ihn nicht in meiner Nähe sah, fiel seine Anwesenheit nicht auf. Nur so konnte er uns wirklich von Nutzen sein. Viele der Gehrdorfer hatten ihn gesehen. Sie würden ihn wiedererkennen.
„Du gehst ohne Umwege ins Hotel. Wenn sie dich sehen, erkennen sie dich auch wieder. Verändere dein Äußeres so gut wie möglich.“
Er grinste. „Wird mir ein Vergnügen sein. Aber dann erwarte ich Vorsicht. Wenn dir ein Fremder begegnet, schieß nicht gleich.“
„Übertreib es nicht“, warnte ich.
„Es ist nicht die erste gefährliche Sache, auf die wir uns einlassen“, meinte Klara beschwichtigend.
„Aber diesmal ist die Gefahr andersgeartet.“
. Klara lächelte schwach. „Du meinst, bisher war die Gefahr mehr oder weniger auf mich beschränkt. Diesmal trifft sie uns alle.“
Es klang nicht vorwurfsvoll.
„Das auch.“ Ich holte die Schlüssel hervor und hielt sie einen Augenblick in der Hand. Nichts geschah. Doch ich wußte, das hatte nichts zu bedeuten. „Aber vor allen Dingen anders geartet.“
„Wie?“ fragte Klara.
Ich schüttelte den Kopf. „Das weiß ich noch nicht. Gebe Gott, daß wir es rechtzeitig herausfinden.“
„Weiß Ernst schon Bescheid?“ fragte Willie.
Ich nickte. „Wir holen ihn ab.“
Willie verließ den Raum, und ich nahm die Gelegenheit wahr, Klara in meine Arme zu ziehen und zu küssen. Sie sträubte sich nicht. Das tat sie nie.
„Du versuchst es immer wieder“, sagte sie traurig.
„Es kann nicht schaden“, stellte ich zärtlich fest. „Es ist sehr angenehm, trotz allem. Außerdem mag es vielleicht eines Tages auf ein Echo stoßen.“
Sie schlang die Arme um mich. „Hans, ich fühle mich sehr geborgen bei dir. Ich weiß, das ist nicht genug. Aber es ist mehr, als ich für irgend jemanden sonst zu empfinden vermag.“
„Ich weiß“, unterbrach ich sie. „Aber ich bin nicht so leicht zu entmutigen, mein Liebling. Ich möchte diese Jahre nicht missen, die wir schon zusammen sind, nicht nur deiner medialen Fähigkeiten wegen. Aber du bist immer verschlossener geworden. Ich glaube immer mehr, daß Dr. Weisser recht hat. Irgend etwas geschieht in der Trance mit dir, daß dich der Wirklichkeit entfremdet. Du hast Angst vor
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