100 Prozent Anders
Speisesaal, war ein großer Wintergarten mit einer 12 Meter langen Tafel und 26 Sitzplätzen. An einem Ende war für Gus und mich gedeckt. Feines Porzellan und immer die gesamte Palette an englischen Frühstücksimpressionen. Süßes Brot, Lachs, Würste, Rührei und Toast, salzige Butter, Orangenmarmelade und Porridge, ein Haferbrei, der in England sehr beliebt ist. Das wäre ja alles gar nicht so schlimm gewesen, wenn Gus sich nicht erst gegen 16 Uhr aus dem Bett erhoben hätte. Ich stand nämlich bereits um neun Uhr frisch geduscht und voller Tatendrang auf der Matte. Ich hielt einen kurzen Small Talk mit der Haushälterin – und dann wartete ich auf Gus. Tatsächlich betrat er nachmittags wie ein Wiesel das Zimmer und gestikulierte und redete und agierte vor mir, dass ich das Gefühl hatte, ich müsste bei ihm mal auf die „Reset“-Taste drücken. Ob da wohl Bewusstseinserweiterndes im Spiel war?
Gus genoss ganz offensichtlich sein Frühstück, und es störte ihn überhaupt nicht, dass der Lachs schon seit acht Stunden auf der Servierplatte lag und das Rührei nach allem aussah, bloß nicht mehr nach Rührei. Er schlemmte und erzählte und ging danach in den Park und machte ein paar Leibesübungen. Gegen 18 Uhr kam sein Tontechniker, und die beiden verschwanden im Studio. Ich hatte noch „frei“ und spielte in einem anderen Trakt des Hauses meine gefühlte tausendste Runde am Flipper-Automaten.
Gegen 22 Uhr kam Gus, vollkommen entspannt, zu mir und meinte, er habe jetzt Hunger und wir sollten doch mal was essen gehen. Wir verließen das Haus und fuhren in den einzigen Pub des Ortes: „King George“. Englischer geht’s kaum! Tiefe Decken und alles mit dunklem Holz getäfelt. Zwei bis drei Männer an der Theke, die ihr Ale, ein englisches Bier, tranken, und eine Karte, die Lust auf Diät machte. Ich fand aber trotzdem etwas, das mir schmecken könnte: „Coq au Vin“. Da kann man nicht viel falsch machen, dachte ich mir. Doch, konnte man! Eklige Hühnerhaut mit Knochen, ertränkt in einer Flasche Rotwein. Was Gus bestellte, weiß ich nicht mehr. Aber scheinbar hatte er sein Mahl genossen, denn er wollte am nächsten Tag unbedingt schon wieder ins „King George“. Wir waren dann endlich nach zwei Stunden zurück im Haus, und ich fühlte schon einen verminderten Augeninnendruck.
Ach, wäre es nicht schön, jetzt ein wenig zu schlafen? Normalerweise schon, aber ich hatte noch keinen einzigen Ton gesungen. Meine Arbeit fing dann um drei Uhr in der Früh an – und ich war todmüde. Eine ganze Woche lang musste ich unter diesen erschwerten Bedingungen arbeiten.
Mein Glückstag war der Mittwoch. Da hatte das „King George“ Ruhetag. Also zog es uns in eine fünfzehn Kilometer entfernte Kleinstadt, und wir schlemmten bei einem Inder. Es ist bis heute das köstlichste indische Essen meines Lebens. Vielleicht lag es aber einfach auch an der unterirdischen Küche des „King George“, dass von mir jedes andere Essen als Gourmet-Food empfunden wurde.
Nora und ich telefonierten einmal am Tag miteinander, und ich erzählte ihr von meinen miserablen Lebensumständen. „Ach, du Armer, das tut mir aber leid. Weißt du, was, ich komme einfach mal vorbei“, meinte sie bei einem unserer Telefonate. „Wie, du kommst einfach mal kurz vorbei?“, fragte ich, „du bist doch in Los Angeles. Das ist nicht gerade um die Ecke.“ „Ach“, sagte sie, „lass mich mal machen.“
Zwei Tage später stand Nora vor der Tür. Ein First-Class-Flug aus Los Angeles und ein Chauffeur hatten es möglich gemacht. Nach einem Tag erklärte sie: „Das hält ja kein Mensch aus“, und machte sich auf den Rückweg. Zuerst Chauffeur und dann wieder First-Class-Flug nach L. A. Eine Geldvernichtungsmaschine auf buchstäblich erstklassigem Niveau!
Mein Album „Different“ erschien, und es wurde leider kein Erfolg. Zumindest nicht in Deutschland. Die Single „Love of My Own“ war Platz 14 in den Charts, das Album aber setzte sich nicht durch. Im Ausland war „Different“ erfolgreicher als in Deutschland. Der Titel „Soldier“ war eine Nummer zwei in Osteuropa und stieg hoch ein in den Hitparaden in Asien und Südafrika. So ergab sich ein Angebot eines Agenten aus London für eine Tournee in der Republik am Kap.
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Südafrika wurde damals von vielen Künstlern geschnitten, da man ein Zeichen gegen die Apartheid-Politik von Präsident de Klerk setzen wollte. Ich war unentschlossen. Ich kannte die Zustände in Südafrika nur aus
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